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18. Aug 2022

Ab in den Wald!

von broemmling

Manchmal ist die 2. Auflage erst das eigentliche Werk. Im Sommer 2014 lag ein HERBARIUM der von Brömmling erdachten Zeitschrift VIERVIERTELKULT bei, Andreas Greiner-Napp hatte sich um die Fotos gekümmert, Burkhard Röker und Ulrich Brömmling die Texte geschrieben. Mit VIERVIERTELKULT im Stiftungswald lautete der Untertitel, und es ging um Pflanzen und Tiere im Wald. Da das Heftchen schnell vergriffen war, plante man eine Neuauflage, die das Team vom SBK-Stiftungswald bei der Öffentlichkeitsarbeit einsetzen sollte. Die Neuauflage war schon für 2020 geplant, wurde dann um ein Jahr verschoben und ist endlich 2022 erschienen. Es ist der letzte Text, den Brömmling für die SBK geschrieben hat, die botanischen Fakten im Text stammen wieder von Burkhard Röker, der Revierförster im SBK-Stiftungswald war. Bei den schönen Fotos hat man natürlich wieder auf Andreas Greiner-Napp zurückgegriffen. Von 40 auf 52 Seiten erweitert, enthält die Neuauflage viele zusätzliche Informationen. Nur ein Beispiel und zur Lektüre empfohlen sind Brömmlings Hinweise zur Zottelhose – hier wird ein früherer Schnitzer wettgemacht, und Carl von Linné erhält den ihm gebührenden Platz. Einen Auftritt auf einer Doppelseite bekommt der Feuersalamander, der größte und schönste Schwanzlurch, der in Deutschland vorkommt. Und ein Fuchs kommt des Wegs, der gegen Ende des Textes noch einmal deutlich werden lässt, warum der Titel auch der Neuauflage natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist:

Ein kleiner roter Fuchs lädt dazu ein, sich durch das Unterholz und über die Wiese der Mesekenheide zu nähern. Über den Fuchs wollen wir nur kurz sprechen, auch wenn er im Stiftungswald auftaucht. Er gilt als Freund des Försters, weil er ein Feind der Maus ist. Die Jäger mögen ihn nicht. So manchen Fasan hat der Fuchs ihnen weggeschnappt. Zwiespältig sehen ihn die Landwirte. Im Kampf gegen die Mäuseplage ist er verlässlicher Partner. Aber der Fuchs hat auch die Gans gestohlen. Und wenn es nur die eine wäre… Jetzt sind wir mit dem Fuchs schon beim nächsten Säugetier. Das mit dem Herbarium nimmt uns wohl keiner mehr ab. Und bevor wir uns jetzt vorstellen, wie wir den Fuchs fürs Herbarium zwischen zwei Bögen Papier legen und dann zwischen Buchdeckeln trocknen und pressen, machen wir für heute mit den Spaziergängen Schluss.

Das HERBARIUM beschließt eine Aufstellung aller Beiträge der ersten zehn Jahrgänge von VIERVIERTELKULT, die den Stiftungswald, seine Mitarbeiter:innen und die Pflanzen und Tiere darin zum Thema haben.

31. Jul 2022

Brömmling über ein denkwürdiges Jubiläum

von broemmling

Jubiläen sind nicht immer gute Ereignisse. Bald wird ein 90. Gedenktag den nächsten jagen, und es werden keine schönen Jubiläen sein. 90 Jahre werden bald vergangen sein seit der »Machtergreifung«, seit dem Reichstagsbrand, seit den Bücherverbrennungen. Bevor sich aber 1933 ein Schatten über Deutschland legte, gab es noch Lichtblicke. In diesem Sommer feiert der Stamm St. Paulus-Moabit der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) seinen 90. Geburtstag. Dieses gute Jubiläum war der Anlass für Brömmlings Artikel im Tag des Herrn am 17. Juli 2022 auf Seite 11.

Der Artikel zog weite Kreise, und ein Journalist der Berliner Woche nahm das Jubiläum nach einem Anruf bei Brömmling zum Ausgangspunkt für ein Treffen mit dem DPSG-Stammesvorsitzenden von St. Paulus Berlin-Moabit. Michael Vogts Artikel erschien Berlin-weit auf Seite 13 der Berliner Woche Nr. 30 vom 30. Juli 2022.

25. Jul 2022

Literatur zu Stifterwillen, Vermögensnachfolge, Schuldrecht, Afrika, Anton Wilhelm Amo

von broemmling

Mit Erscheinen der Nachlieferung 2/2022 des StiftungsManagers (exklusiv für Abonnenten), Standard-Loseblattwerk für Stiftungen, Vereine, Gemeinnützigkeit  im Erich Schmidt Verlag, sind die Besprechungen der Nachlieferung 1/2022 zu entfernen. Hier sind sie nun nachzulesen.

Julian Schick: Das Argument des „mutmaßlichen Stifterwillens“ (=Schriftenreihe zum Stiftungswesen Band 50). Nomos Verlag, Baden-Baden 2021. 304 Seiten, 78 Euro. 978-3-8487-8077-8.

Die Schriftenreihe zum Stiftungswesen, herausgegeben vom Deutschen Stiftungszentrum (DSZ) im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, gehört zu den ältesten Reihen, die sich mit stiftungsrelevanten Fragen befassen. 1969 erschien im Nomos Verlag als Band 1 der Schriftenreihe zum Stiftungswesen „Deutsche Stiftungen für Wissenschaft, Bildung und Kultur“, zusammengestellt und mit vorausgeschickten Bemerkungen versehen von Klaus Neuhoff und Horst Vinken. In Deutschland war es die erste umfangreiche Zusammenstellung von Stiftungen unterschiedlicher Rechtsform. Viele Folgebände zu großen Einzelthemen wurden zu Grundlagen- und Ausgangswerken für künftige Forschungen, Henning von Vieregges Parteistiftungen zum Beispiel (Band 11), Bernd Andricks Stiftungsrecht und Staatsaufsicht (14) oder Markus Heuels Entwicklung der Unternehmensträgerstiftung in Deutschland (23). Ein gutes halbes Jahrhundert nach dem ersten Band ist in der Schriftenreihe nun der 50. Titel erschienen. Sie erscheint weiter bei Nomos, gleichwohl erlebte das Reihenjubiläum keinerlei Würdigung. Dabei ist der Gegenstand des 50. Bandes durchaus jubiläumswürdig. Von den beiden entscheidenden Themen der Vorgeschichte und Zukunft jeder Stiftung, Stifterwille und Stiftungszweck, befasst sich Julian Schick in seiner Dissertation mit dem Argument des „mutmaßlichen Stifterwillens“. Der Titel lässt vermuten, dass der Autor die Stiftungsarbeit dem Risiko ausgesetzt sieht, in Bereichen zu wirken, für die sie nicht gedacht war. In der Tat formuliert der Autor immer wieder so, dass uns bei der Lektüre eine fast kleistsche Zerbrechlichkeit der Stiftungswelt vor Augen steht. Auf den letzten Seiten heißt es: „Die Stiftung ist in ein dichtes Geflecht potenziell unterschiedlichster Interessen eingebunden und darauf angewiesen, dass die Stiftungsbeteiligten im Rahmen ihrer rechtlichen Kompetenzen agieren, um so der Stiftung nicht die eigenen Zwecke aufzuzwingen.“ Das macht nachdenklich nicht nur für die Entscheidungen der Gremien hinsichtlich der Satzung einer Stiftung, sondern letztlich für jede einzelne Förderbewilligung. Dem Stifter wird geraten, noch klarer zu formulieren und noch weiter in die Zukunft zu denken. Bis der Staat hier nicht neu regelt, und er könnte dies ohnehin nur, indem er die Stifterwünsche stark einschränkte, ist die Gesellschaft angehalten, die möglichen Missverständnisse zwischen Stifterwille, sei er mutmaßlich oder wirklich, und der tatsächlichen Umsetzung zu akzeptieren. Das ermutigt nicht gerade, es beeindruckt aber, wie kompliziert eben doch auch eine mit einfachen Mitteln errichtete Stiftung arbeitet.

Olaf Gierhake: Vermögensnachfolge und Vermögensschutz für deutsche Unternehmer mit deutschen, österreichischen und liechtensteinischen Stiftungen (= Schriften des Zentrums für liechtensteinisches Recht (ZLR) an der Universität Zürich 11). Nomos Verlag, Baden-Baden 2021. 346 Seiten, 86 Euro. 978-3-8487-7883-6.

Wohin gehen deutsche Unternehmer:innen, wenn sie die Nachfolge in der Firma vorbereiten und sich für den Übergang des Unternehmens in eine Stiftung entschieden haben? Sie gehen auf keinen Fall mehr in die Schweiz, das ist die erste und einfachste Erkenntnis der Untersuchung von Olaf Gierhake. Mit der Reform des Stiftungsrechts hat sich die Schweiz so gut wie vollständig von der Rechtsform der privatnützigen Stiftung verabschiedet. In Deutschland ist sie möglich und wird bei der Unternehmensnachfolge oft als Doppelstiftung im Verbund mit einer gemeinnützigen Stiftung eingerichtet. Österreich und Liechtenstein bieten hier leichtere Wege an. Dafür garantiert Deutschland als einziges Land von den möglichen drei im deutschsprachigen Raum einen Kapitalerhalt – soweit man darauf Wert legt. Schlüssige Übersichten und Tabellen schaffen Vergleichsmöglichkeiten vermeintlich unvergleichbarer Stiftungsformen, dem Autor gelingen so Vergleiche von Äpfeln mit Birnen, die bei der Lektüre nützlich sind. Er benennt innerhalb der drei Stiftungsjurisdiktionen „eine recht klare Rangfolge“ beim laufenden Besteuerungsniveau; im Besteuerungswettstreit zwischen Deutschland und Österreich scheint Liechtenstein zunächst der lachende Dritte zu sein. Nicht zu unterschätzen sei aber die bessere internationale Vernetzung von Österreich und Deutschland mit vielen weiteren Staaten durch Doppelbesteuerungsabkommen. So ein Netz hat Liechtenstein nicht zu bieten, das ansonsten nach der dortigen Stiftungsrechtsreform trotz Abwesenheit einer Aufsicht einen guten Ruf genießt. Olaf Gierhake ist einer der besten Kenner der Steuersysteme der drei Länder, und seine Übersicht erfrischt durch klare Benennung von Vor- und Nachteilen einer Entscheidung für einen der drei Staaten als Stiftungssitz. Kleine Formulierungsschwächen in der Einleitung (etwa „Persönlichkeiten“, wo von „Personen“ die Rede ist) wiegt die sachkundige Argumentation mehrfach auf.

Tobias Brönneke, Carsten Föhlisch, Klaus Tonner (Hg.): Das neue Schuldrecht. Digitale Produkte. Kaufrecht. Vertragsrecht (= NOMOS PRAXIS). Nomos Verlag, Baden-Baden 2022. 278 Seiten, 49 Euro. 978-3-8487-7067-0.

Ist die Stiftung erst einmal errichtet, bedarf es oft anderer, weiterer Literatur, zusätzlicher Handbücher zu Rechtsgebieten, die nicht unbedingt stiftungsspezifisch sind. Daher sei an dieser Stelle auf einen neuen Titel hingewiesen, der ausführlich die neuen Regelungen zum Schuldrecht benennt und kommentiert. Es ist die größte Veränderung im Schuldrecht seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002. Mit der Umsetzung von drei EU-Richtlinien hat sich die Digitalisierung ins BGB geschlichen. Die neuen Regelungen, die am 22.5.2022 in Kraft treten, beinhalten viele neue Aspekte zu digitalen Inhalten und Dienstleistungen. Wer diese anbietet, haftet für Produktmängel und unterliegt nun einer Update-Pflicht. Außerdem muss er sich mit einem neuen Mangelbegriff im Kaufrecht befassen. Für Miet- und Werkverträge reicht nicht mehr das Miet- bzw. Werkvertragsrecht aus; auch hier können die neuen §§ 327ff. BGB greifen. Was das alles im Einzelnen bedeutet, ist im jüngsten Band aus der Reihe „Nomos Praxis“ zum neuen Schuldrecht übersichtlich beschrieben.

Irène Zandel, Christian Schüle: Heimat Afrika. Hg. von Peter-Alexis-Albrecht und der Cajewitz-Stiftung (= Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung Band 9). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 176 Seiten, 24 Euro. 978-3-8305-5099-0.

Die Neuerscheinungen zum Stiftungswesen stellen v. a. Titel vor, die sich thematisch um gemeinnützige Organisationen drehen. Wenn hier nun der neueste Band der Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung auftaucht, der den Titel Heimat Afrika trägt, mag man verwundert innehalten. Nicht, dass die vielen hundert Titel, die in Stiftungen oder durch deren Hilfe entstehen, keine besprechenswerten Inhalte hätten; vom Stiftungswesen erzählen sie nur in sehr seltenen Fällen. Und dennoch sei Heimat Afrika allen Stiftungsmanagern zur Lektüre empfohlen. Zumindest sollten das Buch alle einmal in der Hand gehalten haben. Denn der Band liefert nichts weniger als eine vorbildliche, transparente Dokumentation der einzelnen Schritte eines von der Stiftung finanzierten Projektes, noch dazu eines, dass sowohl Elemente operativer Projektarbeit aufweist als auch solche, die man als klassische Förderung Dritter bezeichnen kann. Und ganz stiftungsfern ist dann auch das Thema nicht. Es geht um Flüchtlingsströme in der Welt und unsere Handlungsmöglichkeiten. Expert:innen rechnen in diesem Jahrhundert mit 20 Millionen Menschen, die aus Afrika nach Europa kommen werden; ihre Zahl würde sich damit verdreifachen. Ein Text des Philosophen Christian Schüle befasst sich mit dem Phänomen der Beheimatung, und auch der zweite Teil des Buches hat mit Heimat und Identität zu tun. Hier erinnert sich die ukrainische Sprachwissenschaftlerin Luba Maier, wie sie viele Jahre lang in Kenia Hilfe zur Selbsthilfe leistete. Die Schweizer Fotografin Irène Zandel hat wunderbare Fotos gemacht, die Essay und Erinnerungen begleiten – oder von Essay und Erinnerungen begleitet werden. So viel zum nicht unpolitischen Projekt selbst. Solche guten, gelungenen Bücher findet man erfreulicherweise immer wieder unter den Neuerscheinungen. Besonders wird dieses Buch aber erst durch die Verbindung, die die Herausgeber zwischen Stiftung, Heimbewohnern und den handelnden Personen des Bandes herstellen. Die Dr. Walter und Margarete Cajewitz-Stiftung ist eigentlich ein Wohnprojekt kulturellen und sozialen Servicewohnens in Berlin-Pankow. Zu einer dortigen Veranstaltung war Luba Maier eingeladen. Als sie von ihrer Arbeit in Afrika erzählte, wo sie u. a. bei Wasserbohrungen half, sprang der Funken der Hilfsbereitschaft auf das Publikum über. Fortan sammelte die Stiftungswohngemeinschaft Geld, das Luba Maier auf Folgereisen nach Afrika brachte und dort zum Wohle der Bevölkerung einsetzte. Die Projektpartner passten aus einem einfachen Grund zueinander, auf den Stiftungsvorstand Peter-Alexis Albrecht im Vorwort hinweist: Flüchtlinge waren die Alten gleich mehrfach: Nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den Hungerwintern, die folgten, brachten auch die Jahre 1989/1990 für viele eine Fülle ungleich positiver und negativer Umwälzungen. „Flüchtlinge waren doch irgendwie immer da“, wunderte sich treffend ein Mensch vom Lande, Jahrgang 1938, über die punktuell ablehnende Haltung, „2015 darf sich nicht wiederholen“. Auch die Bewohner:innen der Cajewitz-Stiftung solidarisierten sich und konnten für manche in ihrer Heimat Afrika neue Perspektiven zum Bleiben schaffen – ohne dass dies oberstes Ziel gewesen wäre. Glanzstück des ohnehin brillanten Vorwortes ist die Erklärung, warum nicht nur ein Buch mit Essay, Erinnerungen und Fotos erschienen ist, sondern das Projekt inklusive seiner vielen Unterstützer erst am Anfang steht. Dem Abschnitt mit der Zwischenüberschrift „Breite öffentliche Vermittlung des Richtigen“ ist nichts hinzuzufügen, daher sei er hier vollständig mit Leseempfehlung für das ganze Buch zitiert: „Die Zivilgesellschaft kann die Nöte der Welt nicht beseitigen. Sie ist selbst in großer Not. Aber eine gemeinnützige Stiftung, deren Satzungszweck generationsübergreifende Kommunikation über Einsichten aus gewonnenen Erlebnissen und Erfahrungen des Alterns und Alters ist, hat die Pflicht, als richtig erkannte Wege bekannt und öffentlich zu machen. Dieser neunte Band in der Schriftenreihe […] setzt jene Pflicht in gemeinnütziger Intention um.“

Stefan Knauß, Louis Wolfradt, Tim Hofmann, Jens Eberhard (Hg.): Auf den Spuren von Anton Wilhelm Amo. Philosophie und der Ruf nach Interkulturalität (= Edition Moderne Postmoderne). Transcript Verlag, Bielefeld 2021. 266  Seiten, 60 Euro. 978-3-8376-5654-1.

Anton Wilhelm Amo (1703 – 1759) scheint wiederauferstanden. Der Vertreter der Frühaufklärung ist mit seiner Philosophie und seinen Gedanken zur universellen Vervollkommnung des Menschengeschlechts näher an stiftungsphilosophischen Grundlagen, als der erste Eindruck glauben lässt. Ein neuer Sammelband beleuchtet unterschiedliche Aspekte aus Amos Leben und Werk. Der im damals unter Europäern als „Goldküste“ bekannten Teil Westafrikas, heute Ghana, geborene Amo kam im Alter von sieben Jahren an den Wolfenbütteler Hof und diente die ersten Jahre als Lakai in de facto Leibeigenschaft (de iure gab es bei den Braunschweigischen Herzögen keine Sklaverei). Die übrigen Aspekte aus Leben und Werk seien der Buchlektüre vorbehalten, nur zwei der Gedanken, die auch stiftungsphilosophisch interessant sind, seien hier angeführt. Zum einen dringt Amo nicht nur in seinen sprachphilosophischen Texten darauf, auch eine der Muttersprache völlig wesensfremde Sprache zu erlernen, um aus dem Gedanken- und Argumentationsgebäude, in das man durch die eigene Sozialisation gesperrt ist, ausbrechen zu können. Ein solcher Ausbruch aus dem jeweils eigenen Gedankengebäude mit welcher Methode auch immer, könnte bei den ewigen Debatten um unterschiedliche Auffassungen gemeinnütziger Tätigkeit, um vom eigenen Modell abweichende Voraussetzungen für Steuervergünstigungen, um verschiedene Definitionen von „Stiftung“ manchmal durchaus hilfreich sein. Bis heute verhindert ein Mangel an Harmonisierungsbestrebungen die Stiftungszusammenarbeit über die Grenzen hinweg. Zum anderen spricht aus Amos Werk ein aus negativen Erfahrungen entwickeltes Modell der Toleranz, und ein Glaube an die Kraft des Guten, die auch zahlreiche Stiftungen beschwören. Ein lesenswertes Buch für jeden im Stiftungswesen Engagierten. Und noch ein Versprechen: Wer den Sammelband gelesen hat, wird Kant und Hegel künftig mit anderen Augen betrachten.

10. Apr 2022

Kontinuität in unsicheren Zeiten: Literatur zum Stiftungswesen, Vereinswesen, Gemeinnützigkeitsrecht auf dem Prüfstand

von broemmling

Mit Erscheinen der Nachlieferung 1/2022 des StiftungsManagers (exklusiv für Abonnenten), Standard-Loseblattwerk für Stiftungen, Vereine, Gemeinnützigkeit  im Erich Schmidt Verlag, sind die Besprechungen der Nachlieferung 4/2021 zu entfernen. Hier sind sie nun nachzulesen.

Brigitte Grande, Edgar Grande, Udo Hahn (Hg.): Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke (= Edition Politik 111). Transcript Verlag, Bielefeld 2021. 184 Seiten, 29,50 Euro. 978-3-8376-5654-1.

Die jüngst an dieser Stelle vorgestellten Überblickswerke zum Thema Zivilgesellschaft vermittelten einen umfassenden Überblick durch Sensibilisierung für unterschiedliche Aspekte der Forschungsweise einzelner Disziplinen. Gerade das Handbuch Zivilgesellschaft (Maecenata Schriften 10, Oldenbourg Verlag) benannte interne Debatten und aktuelle Forschungsfelder. Ein neuer Band der Edition Politik aus dem Transcript Verlag, herausgegeben von Brigitte Grande, Edgar Grande und Udo Hahn, fasst die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Bundesrepublik Deutschland in groben Zügen zusammen. Der Bericht über Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke muss lückenhaft sein, das kündigt schon das Vorwort an. Die Gewerkschaften finden Beachtung, die neuen sozialen Bewegungen, die Kirchen. Beim zivilgesellschaftlichen Einsatz dominierten politische Mitte-links-Positionen von Gruppen mit zumeist säkularer Struktur, wobei es auch einen anderen Teil der Zivilgesellschaft gebe, der materialistisch und überwiegend national oder lokal ausgerichtet sei, so Manfred G. Schmidt in seinem Beitrag über die Geschichte der Zivilgesellschaft. Stiftungen haben in dieser Auswahl bis auf seltene Nennung unter ferner liefen keinen Platz. Selbst für eine lückenhafte Darstellung erscheint diese Auslassung schwierig. Aufschlussreich bleibt das Buch daher v. a. durch besondere Beiträge wie das Interview mit Wolfgang Thierse oder den Bericht von Christine Scheel über den Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf – aber auch hier hätte ein zusätzlicher Blick vor dem Druck nicht geschadet, denn in der Oberpfalz kamen Tränengaseinsätze zum Einsatz.

Jenny Wüstenberg: Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945. (= Memory Studies Band 2). LIT Verlag, Berlin 2020. 360 Seiten, 49,90 Euro. 978-3-643-14798-1.

Dauerhaftigkeit ist ein Merkmal von Stiftungen, auf das Freunde des Stiftungswesens gern verweisen. Dem Ewigkeitsgedanken wird auch die zunehmend mögliche Einrichtung als Verbrauchsstiftung oder Stiftung auf Zeit nichts an seinem Wert nehmen. Stiftungen sind ein Teil des Wissens und Gewissens der Menschen – und das auf mannigfache Weise, wie die Namen der Organisationen zeigen. Institutionen, die auf Dauer angelegt sind, scheinen prädestiniert für eine zentrale Rolle in der Erinnerungskultur. Sie sind selbst Erinnerungsmonument für ihre Stifterin oder ihren Stifter. Folgerichtig sind Stiftungen eine besonders häufig gewählte Rechtsform, wenn es um Erinnerung an politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen geht. Sie eignen sich sowohl für staatliche wie zivilgesellschaftliche Initiativen. Jenny Wüstenberg hat die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945 untersucht. Das bemerkenswerte Buch thematisiert das Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Einsatz einerseits und dem Engagement von Graswurzelorganisationen, Opfergruppen und Angehörigen andererseits. Die Autorin, die Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Nottingham Trent University in England lehrt und Co-Präsidentin der Memory Studies Association ist, konzentriert sich dabei auf das öffentliche Erinnern und Gedenken. Monografien, familiäre und private Aktionen bleiben also außen vor. Mit dem Zusammenhang von Erinnerungsaktivismus und Demokratie berührt sie aber genau den Themenkomplex, mit dem es auch Stiftungen zu tun haben, wenn es um die demokratische Legitimation ihres Handelns geht. Gleichzeitig laufen Stiftungen Gefahr, staatlich vorgegebene Denkprozesse nachzumachen oder zu finanzieren – dies gilt nicht nur für vom Staat errichtete Stiftungen. Die Relevanz des Themas für Mitarbeitende in Stiftungen wächst von Kapitel zu Kapitel und gipfelt im Abschlussteil, der negative und positive Aspekte von hybriden Institutionen bei der demokratischen Erinnerung beleuchtet. Es sprechen v. a. Mahnungen und Ermahnungen aus der Darstellung: Weder darf die Institution der Versuchung erliegen, nur die – so es sie gibt – staatliche Lehrmeinung zu verbreiten, sondern muss weiterhin auch jenen Engagierten eine Bühne zu bieten versuchen, die sich einer Einbindung entziehen, noch darf sie einzelne Akteure innerhalb ihrer Strukturen dominieren lassen. Die Bedeutung dieser Stiftungen und anderer Institutionen als Hybrideinrichtungen, die weder ganz Staat noch ganz Zivilgesellschaft sind, stellt die Autorin nicht infrage.

Dieter Deisenroth, Annette Weinke (Hg.): Zwischen Aufarbeitung und Geheimhaltung. Justiz- und Behördenakten in der Zeitgeschichtsforschung. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 225 Seiten, 35 Euro. 978-3-8305-3922-3.

Ob eine Stiftung ihre Unterlagen aufbewahren soll und wie transparent und zugänglich für die Öffentlichkeit solche Archive sein sollen, darüber gehen selbst innerhalb des Stiftungswesens die Meinungen auseinander. Die Finanzbehörden geben sich für die meisten Unterlagen mit sechs, maximal zehn Aufbewahrungsjahren zufrieden. Damit ist noch nichts über die historische Bedeutung gesagt, denn natürlich werden Forschende in 100 Jahren nur auf solche Unterlagen zurückgreifen können, für deren Aufbewahrung man sich irgendwann bewusst entschieden hat. Gemeinnützige Stiftungen haben hier eine besondere Aufgabe, die mit Transparenz zu tun hat. Werden wir irgendwann noch die Golo-Mann-Biografie über den Namensgeber einer großen Stiftung lesen dürfen, die die Stiftung unter Verschluss hält, weil das Ergebnis ihr nicht gefiel, die aber immerhin mit steuerbefreiten Stiftungsgeldern honoriert wurde? Auf einen weiteren Aspekt, bei dem Stiftungen eine Rolle spielen, macht Raphael Thomas in seinem Beitrag über „privatisierte“ Regierungsakten deutlich, der im neuen Sammelband Zwischen Aufarbeitung und Geheimhaltung erschienen ist. So lagern im Archiv der politischen Stiftungen diverse Dokumente, die eigentlich ins Bundesarchiv gehören. Der Autor nennt als Beispiel Verhandlungsprotokolle aus der Adenauerzeit in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Eine britische Wissenschaftlerin versucht seit Jahren vergeblich, die Dokumente einzusehen. Dieter Deisenroth, der den neuen Band gemeinsam mit Annette Weinke herausgegeben hat, lässt diese Wissenschaftlerin, Dr. Gaby Weber, in einem Interview zu Wort kommen. Es schreckt auf, wenn sie Akten versteckenden Institutionen vorwirft, damit Fake News den Weg zu ebnen. Allerdings hat das neue Bundesarchiv von 2017 die Herausgabe von Akten nicht gerade erleichtert, auch das wird in dem Band deutlich.

Jahrbuch für Regionalgeschichte 38 (2020). Hg. von Oliver Auge. Franz Steiner Verlag, Bielefeld 2021. 227 Seiten, 64 Euro. 978-3-515-12752-3.

Nicht nur Bürgerstiftungen konzentrieren sich bei ihren Aktivitäten auf die Region. Die Namen einiger großer Stiftungen verweisen auf regionale Förderschwerpunkte, die Baden-Württemberg Stiftung und die Oberfrankenstiftung etwa machen die Zuordnung leicht. Dass die Joachim Herz Stiftung und die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius v. a. in Hamburg fördern, sollte man wissen. Dass im Jahrbuch für Regionalgeschichte immer wieder Stiftungsgeschichte Gegenstand der Aufsätze und Rezensionen ist, darf also nicht verwundern. Im aktuellen Band erfahren wir von Max Häberlein Aufschlussreiches über Julius Echter; dem Würzburger Fürstbischof verdanken wir u. a. das Juliusspital in Unterfrankens Hauptstadt. Der Autor dieses Aufsatzes lehrt an der Universität Bamberg und war zehn Jahre lang Herausgeber des Jahrbuchs für Regionalgeschichte. Nun ist die Herausgeberschaft zu Oliver Auge an die Universität Kiel gewandert, und wer sie noch nicht kannte, lernt eine weitere regional tätige Stiftung kennen: Die Burgenstiftung Schleswig-Holstein hat den Band gefördert.

 

12. Dez 2021

Neuerscheinungen zum Stiftungswesen

von broemmling

Aus dem StiftungsManager 3/2021, heute ersetzt im Standard-Loseblattwerk für Stiftungen, Vereine, Gemeinnützigkeit, das im Erich Schmidt Verlag erscheint, durch die Nachlieferung 4/2021 (hier erst nachzulesen bei Austausch durch Neuerscheinungen für die Nachlieferung 1/2022)

Benjamin Schmidt: Europäische Gemeinnützigkeit (= Deutsches, Europäisches und Vergleichendes Wirtschaftsrecht, Band 125). Nomos Verlag, Baden-Baden 2020. 505 Seiten, 132 Euro. 978-3-8487-6932-2.

Als 2014 EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker das Projekt zur Schaffung der Rechtsform Europäische Stiftung von der Tagesordnung nahm, dürften einige Doktorand_innen sich still und leise für immer von ihrem Promotionsthema verabschiedet haben. Denn länderübergreifendes Stiften war ein beliebtes Thema, das zudem 25 länderspezifische Perspektiven erlaubte. Benjamin Schmidt ließ sich von der allseitigen Enttäuschung über den Beschluss der Kommission nicht beirren und verfasste eine vergleichende Arbeit zum Gemeinnützigkeitsrecht in Europa. Wer das Vorwort von Werner F. Ebke gelesen hat, des Herausgebers der Reihe „Deutsches, Europäisches und Vergleichendes Wirtschaftsrecht“, in der die Dissertation erschienen ist, beginnt ob des überschwänglichen Tons („Ein mitreißendes, kreatives Werk!“) die Lektüre skeptisch. Doch schon bald gibt man zu: Das Vorwort war keineswegs übertrieben. Benjamin Schmidt zeichnet auf 500 Seiten ein nahezu vollständiges Bild der Gemeinnützigkeit in Europa, die Voraussetzungen, die einzelnen Stufen der Besteuerung oder Befreiung. Wo die Lage unübersichtlich zu werden droht, warnt er vor Fallstricken, schließt Hintertüren („Keine aus einem europäischen Gemeinwohl ableitbare Förderpflicht ausländischer Gemeinnutzzwecke“) und zeigt sinnvolle Wege aus dem Dickicht auf. Er erklärt Grundeigenschaften und weitere Merkmale gemeinnütziger Organisationen – ausgehend von Deutschland. Er weiß dabei auf die Länder zu verweisen, die ähnliche Regeln haben. Wenn Länder von diesen Merkmalen abweichen, hat der Autor meist eine plausible Erklärung dafür und kann etwa zeigen, warum der Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung sich nicht notwendigerweise aus dem Gesetz ergeben muss, sondern auch durch selbstverständliche Transparenzerwartung von außen sichergestellt werden kann. Fast im Vorbeigehen spricht er dem Verweis auf die Kohärenz des Steuersystems die Tauglichkeit als Argument ab. Bis ins letzte Kapitel versäumt Schmidt nicht, Begriffe und Strukturen zu hinterfragen, etwa wo es um auslandsoffene und inlandsbezogene Regelungen im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht gibt. Der Autor wagt trotz des Rückschlags bei der Europäischen Stiftung einen ermutigenden Blick auf die Zusammenarbeit gemeinnütziger Organisationen in Europa. Wer Schmidts Werk gelesen hat, versteht nun nicht nur etwas von Gemeinnützigkeit im europäischen Zusammenhang; er hat auch einen umfassenden Einblick in Mechanismen des Gemeinwohls insgesamt erhalten.

Lotte Busch: Die Cy-près-Doktrin. Änderungen des Stiftungszwecks in den USA und in Deutschland (= Schriftenreihe des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen 23). Nomos Verlag, Baden- Baden 2021. 484 Seiten, 118,- Euro. 978-3-8487-8072-3.

Dass wir es hier mit einer weiteren Untersuchung zur Änderung des Stiftungszwecks zu tun haben, ist kein Zufall: „Die Frage, inwieweit der Zweck einer Stiftung nach ihrer Errichtung noch geändert werden kann, ist in Deutschland eines der meist diskutierten Themen des Stiftungsrechts und von erheblicher Bedeutung für Stiftungen, deren Organe, Stifter und Stifterinnen sowie die Allgemeinheit.“ So beginnt Lotte Busch ihre Dissertation, in der sie Möglichkeiten der Änderung des Stiftungszwecks in Deutschland mit jenen in den USA vergleicht. Auch Ländervergleiche des Stiftungswesens in den USA und in Deutschland gibt es in der Stiftungsliteratur zuhauf; allerdings kaum mit dem Schwerpunkt auf Handlungsfreiheiten beim Stiftungszweck. So füllt die Autorin eine Lücke, und sie füllt sie sehr gut: Nach 200 Seiten ausführlicher Beschreibung des deutschen Stiftungssystems und der Rechtsformen amerikanischer Stiftungen führt die Autorin endlich den Begriff ein, der der gesamten Untersuchung den Namen gibt: Die Cy-près-Doktrin, 1490 erstmals aktenkundig, geht bis auf das römische Recht zurück und bedeutet im Wortsinn, ein geänderter Stiftungszweck solle dem ursprünglichen Stifterwillen „so nah wie möglich“ oder auch nur „nah“ sein („aussi près que possible“). Herennius Modestinus, ein römischer Jurist, hatte bereits nach diesem Grundsatz gehandelt, als ein Stiftungszweck den Gesetzen entgegenstand. Als Cy-près-Doktrin kennen diesen Grundsatz bei Zweckänderungen die Rechtsordnungen in den Common-Law-Staaten des Commonwealth von Australien über Indien bis nach Südafrika. Aber auch in Frankreich und Spanien ist der Begriff geläufig. In Deutschland nicht, und das, obwohl die Philosophie bei einer Zweckänderung hier kaum eine andere ist als die, die als Hintergrund der Cy-près-Doktrin dient. Aber es ist nicht im Gesetzestext verankert, war es zumindest bisher nicht. Insofern hilft der Rechtsvergleich, den die Autorin vornimmt. Während in Deutschland zwei Parteien an einer Zweckänderung beteiligt sind, kommt in den USA eine dritte hinzu, da das Verfahren vor Gericht stattfindet. Die Autorin arbeitet auch die feinsten Unterschiede heraus, verliert aber nie den Faden. Die historischen Umwege etwa über die Unterscheidung zwischen Hauptzweck und speziellem Stiftungszweck bei Zweckänderungen in der bayerischen Verfassung dienen dabei dem tieferen Verständnis von Zweckänderungen im Stiftungswesen. Dass die Autorin sich in ihrer Arbeit mit Vorschlägen beschäftigt, die im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses für die Stiftungsrechtsreform zur Diskussion standen, die mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts einen vorläufigen Abschluss gefunden hat, macht die Untersuchung nicht obsolet. Die Cy-près-Doktrin wird ein wichtiges Element des US-amerikanischen Stiftungswesens bleiben, und das Wissen um Ursprung und Inhalt der Doktrin dürfte auch für die kommenden Jahrzehnte von Nutzen sein. Hierzu zählen die Unterscheidung zwischen privatnützigen und gemeinnützigen Stiftungen und die Abwägung von Stifterwillen und Gemeinnutzen – mit möglicherweise veränderter Gewichtung im Laufe der kommenden Jahrhunderte.

Lukas Brugger: Die gemischte Stiftung. Die Stiftung zur Verfolgung unter- schiedlicher Zwecke im Lichte des schweizerischen ZGB und des österreichischen PSG (= Schriften zum Stiftungsrecht 12). Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2019. 346 Seiten, 92 Euro. 978-3-7190-4321-6.

Das deutsche Stiftungswesen ist vielfältig; es gibt kaum etwas, das es nicht gibt. Nach der Cy-près-Doktrin haben wir es nun mit der gemischten Stiftung gleich mit einem zweiten Phänomen im Stiftungswesen zu tun, das zwar dem Inhalt nach auch hier- zulande existiert, was aber weder in Gesetzestexten noch im Rechtsverkehr sichtbar ist. Wieder geht es um die Verfolgung der Stiftungszwecke. Eine gesetzliche Definition der „gemischten Stiftung“ liefert nur das liechtensteinische Stiftungsrecht – in diesem Fall konzentriert auf die Familienstiftung. Diese gilt als gemischt, wenn der familiengestützte Stiftungszweck zwar überwiegt, aber auch gemeinnützige oder andere privatnützige Zwecke verfolgt. Gemischte Stiftungen können vieles sein, die Definition variiert und ist landesabhängig mal konkreter, mal weniger konkret; der Autor des Buches, Lukas Brugger, muss sich bei der Arbeit an seiner Dissertation enorm konzentriert haben, um nicht durcheinanderzukommen: Hans Michael Riemer definiert sie als „Stiftungen, deren Zweckbestimmung, als Ganzes betrachtet, a) sowohl in den Bereich der Zwecke gewöhnlicher als auch in denjenigen einer oder mehrerer gesetzlicher Sonderformen oder b) in den Bereich zweier oder aller gesetzlicher Sonderformen fällt“. Hüttemann sieht den Begriff der gemischten Stiftung „im weiteren Sinne“ als gleichwertig einer Stiftung mit mehreren – inhaltlich unverbundenen – Zwecken an, während gemischte Stiftungen „im engeren Sinne“ für ihn solche sind, „die gemeinnützige mit privaten Elementen verbinden“. Nur fünf von zahlreichen Arten gemischter Stiftungen in Österreich, die der Autor untersucht, seien hier genannt, um die Sorgfalt seiner Arbeit zu verdeutlichen: gemeinnützige Familienstiftungen, Familienstiftungen zur Begünstigung der Allgemeinheit, Familienstiftungen mit kirchlichen Teilzwecken, Familienstiftungen mit Teilzwecken zur Arbeitnehmerförderung und Familienstiftungen mit familienfremden Begünstigten. Bei der Darstellung der Situation gemischter Stiftungen in der Schweiz macht der Autor auf verschiedene Risiken aufmerksam; u.a. scheint die Aufsicht über Stiftungen mit zeitversetzten Zwecken und Sukzessivstiftungen unzureichend. Gerade weil der rechtsdogmatische Charakter des Werkes dominiert, wäre es aufschlussreich gewesen zu erfahren, warum gemischte Stiftungen in Deutschland in geringerem Grade möglich sind.

Elisa Bortoluzzi Dubach: Stiftungen. Der Leitfaden für Antragsteller. Helbing Lichtenhahn Verlag, 3., aktualisierte und erweiterte Auflage Basel 2021. 296 Seiten, 53 Euro. 978-3-7190-4307-0.

Ein verlässlicher Ratgeber für Institutionen, Vereine und Projektverantwortliche war die Handreichung über die Einwerbung von Stiftungsmitteln für die eigenen Projekte schon seit der ersten Auflage 2007. Elisa Bortoluzzi Dubach, die Organisationen zu Förderungen und Sponsoring berät, brachte damals einen „Leitfaden für Gesuchsteller“ heraus, mit dem man in Deutschland wenig anfangen konnte. Der 20 Bände umfassende Brockhaus führte den Begriff „Gesuch“ über Jahrzehnte nicht, und auch heute ist im Bedeutungswörterbuch der schweizerische Gebrauch des Wortes für einen Antrag auf Fördermittel bei einer Stiftung nicht herauszulesen. Mit der 3., aktualisierten und erweiterten Auflage ist das Buch auch in der deutschen Sprache angekommen. Die 3. Auflage offenbart die Bedeutung eines einzigen Wortes. Denn die Vorauflagen wirkten, unabhängig vom Inhalt, durch den Begriff „Gesuch“ mit all seinen Varianten wie „Kleingesuch“ und „Gesuchsteller“ für Leserzielgruppen in Deutschland nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit. „Stiftungen. Der Leitfaden für Antragsteller“ heißt nun die 3. Auflage, die mit neuer Typografie noch einmal deutlich frischer daherkommt. Durch die Ersetzung von „Ge- such“ durch „Stiftung“ ändert sich inhaltlich überhaupt nichts. Ein anderer Wortaus- tausch verschiebt auch den Inhalt, obgleich der Schritt auch hier wohlüberlegt ist. „Wirkungsmessung“ tritt an die Stelle von „Erfolgskontrolle“. Die letzte Kritik mag piefig wirken oder zu detailliert scheinen. Aber warum im Buch „Stiftungslandschaft“ immer wieder in Anführungszeichen gesetzt wird, erschließt sich bei der Lektüre nicht. Hier besteht weder die Gefahr eines Missverständnisses noch muss auf Ironie verwiesen werden. Gerade aus Förderanträgen muss ein besonders sensibler Umgang mit Sprache hervorgehen. So sind auch in der 3. Auflage einige Irritationsmomente geblieben. Inhaltlich unterscheidet sich die neue Auflage kaum von der vorigen; im Serviceteil sind die Rubriken Forschungsnetzwerke, Suchmaschinen und Datenbanken hinzugekommen, gravierende Änderungen hat es auch im Vergleich zur ersten Auflage nicht gegeben. Da aber, wie anfangs erwähnt, dieses Werk als verlässlicher Ratgeber dient, seit es auf dem Markt ist, sei jedem Antragsteller der Kauf empfohlen, der keine der Vorauflagen hat. Manchmal lohnt das Warten.

Marc Frick: Die Gabe als drittes Prinzip zwischen Markt und Staat? Perspektiven von Marcel Mauss bis zur Gegenwart (= Edition Politik 112). Transcript Verlag, Bielefeld 2021. 208 Seiten, 35 Euro. 978-3-8376-5661-9.

Zur Vernunft kommen die Menschen immer erst zu spät. Als die Finanzkrise die Finanzmärkte durcheinanderwirbelte, als unethisches Bankgebaren und Kunden täuschende Abgaswerte die Wirtschaft in Misskredit brachten, spürten deren Kritiker Aufwind: Wen die soziale Kälte des Kapitalismus schon länger frieren machte, erhob nun seine Stimme lauter. Wer warnen oder mahnen wollte, konnte dies auf mehr Plattformen tun als je zuvor. Viele mahnende Stimmen suchten nach einer dritten Kraft zwischen Markt und Staat. Eine ähnliche Entwicklung gab es vor einem knappen Jahrhundert: In der Weltwirtschaftskrise wurden die Gefahren rücksichtslosen Wirtschaftens sichtbar, und es entstand die Idee eines dritten Prinzips jenseits von Staat und Markt. Marc Frick ist weder der Einzige noch der Erste, der diese Parallele gefunden hat, sein Verdienst liegt woanders: Er stellt den französischen Soziologen Marcel Mauss in den Mittelpunkt seiner Untersuchung und fragt, was wir von seinem Essay Die Gabe aus dem Jahr 1929 für die heutige Gesellschaft lernen können. Mauss entwickelt in diesem Essay die Idee einer Moral der Gabe. Diese Moral hilft ihm in der weiteren Argumentation, dem reinen ökonomischen Kalkül Werte wie starke zwischenmenschliche Beziehungen, Anerkennung und gegenseitige Verpflichtung entgegenzusetzen. Die großen Ideen, die Massenideologien, die grandiosen Gesellschaftsgebäude sind heute versunken, zitiert der Autor den Philosophen Marcel Hénaff. Der hatte 2014 unterschiedliche Arten von Gaben untersucht. Die wohltätige und die solidarische Gabe erwarten keine Gegenleistung. Aber die Gabe ist nicht selbstverständlich, nicht planbar, nicht einforderbar. Und doch, so der Abschlussgedanke des Autors, verhindert die Gabe revolutionäre Umbrüche, die in der Realität bislang nie zu einer besseren Gesellschaft geführt hätten, meint der Autor. Es steckt für Stiftungen aber noch ein anderer Rat dahinter: Trotz funktioneller Mechanismen wie Staat und Markt könne nicht „auf die kleinen und großen Gesten der Menschlichkeit verzichtet“ werden, schreibt der Autor.

19. Sep 2021

Rezension Chavaroche|Billioud: Atlas der utopischen Welten

von broemmling

Ophélie Chavaroche | Jean-Michel Billioud: Atlas der utopischen Welten. 82 Visionoen der Menschheit in Bildern. KOSMOS, Stuttgart 2021. 256 Seiten, 38 EUR.

Helmut Schmidt hat sich später sehr geärgert. Sein flapsiger Spruch Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen hatte sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verselbstständigt. Fortan durfte sich jedes tumbe Haupt, das weder Mut noch Phantasie für Veränderungen zum Guten der Gesellschaft hatte, lustig machen – ausgerechnet über jene, die unsere Gesellschaft schon immer dringend brauchte. Menschen mit einem Traum von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, mit einer Vision vom friedlichen Zusammenleben, mit einer Idee von einem naturgerechten Leben. Nun ist eine Vision nicht dasselbe wie eine Utopie. Als „Nicht-Ort“ lässt sich Utopie aus dem Griechischen übersetzen, übrigens auch als „guter Ort“, denn der griechische Diphthong  ευ  wird genauso zum U aus „Utopia“ wie das  ου  von „nicht“. Der Hinweis fehlt, und es bleibt ein üppiger, zuweilen verwirrender Band. In einem Atlas der utopischen Welten haben die Literaturwissenschaftlerin Ophélie Chavaroche und der Historiker Jean-Michel Billioud nun zusammengestellt. Landkarten von entdeckten wie erfundenen Gegenden sind genauso versammelt wie Menschen und Ereignisse, deren Kern, deren Vision sich nicht als Landkarte mit Bergen und Flüssen abbilden lassen. Es ist der erste Atlas, der eine Geschichte erzählt.

Das Autorenduo hat Utopien und Visionen sechs Hauptteilen zugeordnet. Ergebnis der Suche nach dem idealen Ort ist unter anderem Thomas Moores Utopia, Atlantis gehört in diese Kategorie ebenso wie Eldorado. Die Schnapsidee vom ewigen Reichtum hat nicht nur Konquistadoren den Kopf verdreht, wie Autor und Autorin schreiben. Die Eroberer zerstörten gewachsene Kulturen und mordeten alle, die sich ihnen in den Weg stellten. Schon im ersten Teil merken wir also, dass Utopien oft genug von sehr persönlichen Träumen, Werten und Vorstellungen erdacht sind. Stadtutopien widmet sich der zweite Teil, manche schrieben Erfolgsgeschichte (Brasília), manchen war nur eine kurze Lebensdauer beschieden (Busludscha). Nicht ganz überzeugend widmet sich ein dritter Teil der Neuerschaffung der Welt. Alles in diesem Teil ist plötzlich Revolution, das Wagnis des Magellan ist die Revolution des Magellan, in den Bauernaufständen hat schon Friedrich Engels die Vorläufer der Revolution gesehen. Die Studentenrevolution, der arabische Frühling, die Abschaffung des Krieges, zwei Stunden Arbeit täglich, sexuelle Freiheit für die ganze Welt, Glück für alle wie in Bhutan, geschlechtergleiche Löhne für gleiche Arbeit: Hier arbeiten wir an unseren eigenen Utopien, die aber eben doch keine Utopien sein sollen. Autor und Autorin gehen offenbar davon aus, eine weit verbreitete Meinung, dass wahre Entwicklungen nur durch Revolution zu erreichen sind. Im vierten Atlasteil geht es um die Forschung und Entwicklung in Laboratorien der Utopien. Experimente in Bolivien, Wichtelhäuser im Boden, eine Einkaufs-App, Abfallvermeidung und eine Reform der Sozialversicherung – bis dahin mochte man die Laboratorien noch zuordnen. Beim Lob für Wikipedia und bei einer kleinen Geschichte aus den Jahren der brasilianischen Militärdiktatur werden die Zweifel schon stärker, ob sich die Autoren hier nicht etwas übernommen haben. Die zerstreut auch der fünfte Teil, Wissenschaft und Fiktion, nicht. Hier geht es um neue Wohnformen – im Meer, im Baum, im Himmel, um fliegende Autos und um nichts weniger als die Unsterblichkeit. Das hatten wohl die wenigsten im Atlas der Utopien erwartet. Aber es hat schon seinen Sinn: Hier geht es nicht um Phantasiewelten, um Lummerland oder Mittelerde. Hier geht es um diese Welt. So sind denn die Botschafter der Utopien, mit denen sich der sechste Teil befasst, alles Menschen aus Fleisch und Blut. Simón Bolívar, ist dabei, Ernesto Che Guevara, Rosa Parks und viele andere mehr.

Dass die Verteilung der utopischen Aspekte in Europa, folgt man dem Buch, recht ungleich erscheint, stößt zunächst ein bisschen bitter auf, dann beruhigt man sich: Ein Dutzend Kapitel aus Frankreich und nur eines aus Deutschland: Das Autorenduo kann seine Herkunft nicht verbergen. Und sollen in Deutschland wirklich die Bauernkriege jene Utopie sein, die uns als erstes einfällt, wenn wir an Utopien aus Deutschland denken (in der Nacht oder am Tage anheim- oder dahingestellt)? Das macht überhaupt nichts: Dinge, die wir schon kennen, können unsere Erkenntnis kaum bereichern. Und so lernen wir eben mehr über die fixen Ideen der Franzosen als über die Visionen der Deutschen. Dass hier Germania (ehemals Berlin) nicht auftaucht, erleichtert eher als dass es stört. Es ist eine lange Reise, auf die Autor und Autorin die Leserschaft mitnehmen. Man mag die Zusammenhänge vermissen zwischen den Orten des ersten Teils, Abraxas nahe Paris, dem brutalistischen Petrova Gora in Titos Jugoslawien und New Harmony im US-amerikanischen Indiana einerseits und den Botschaftern der Utopien im letzten Teil. Überall sind Visionen mit Utopien, Entdeckungen mit Revolutionen vermengt. Aber hält man die Reise, die an keiner Stelle langweilt, bis zum Ende durch, versteht man auch, was mit dem Text auf dem Einband gemeint war, der anfangs einn bisschen großspurig klang: Dieses mit Fotoss, Plänen und alten Karten iollustrierte Werk sprengt jegliche Grenzen der Vorstellungskraft, verwandelt die Utopie in eine Quelle der Inspiration … das tut es wirklich, das hätte vielleicht sogar Helmut Schmidt gefallen. Respekt!

9. Sep 2021

Kurzrezension Andreas Greiner-Napp

von broemmling

Andreas Greiner-Napp: agn. fotografie und reportage. Braunschweig 2020. 290 Seiten, 29 EUR. Zu beziehen über a.greiner-napp@gmx.de.

Ein Foto ist nicht nur Beiwerk. Ein Foto kann mehr als nur illustrieren. Aber warum erzählt manches Foto eine ganze Geschichte, während es bei einem anderen zur Erklärung einer Bildunterschrift bedarf. Nicht die Kamera allein ist Ausschlag gebend. Auch das beste iPhone, auch die beste Smartphone-Kamera macht aus Knipsern keine Fotografen. Für ein gutes Foto müssen Technik, Handwerk und Geist zusammenpassen. Andreas Greiner-Napp verrät in seinem Fotoband, wie einige seiner Bilder entstanden sind. Der Band versammelt Aufnahmen aus dem jüngsten Jahrzehnt. Bekanntes und Unveröffentlichtes, Ungenutztes und Neukombiniertes, mit Kommentartext oder für sich stehend. Aus den Texten des Künstlers spricht ein edles Menschenbild, aus den Fotos nicht minder. Der Auslöser für die oft so ungestellt wirkenden Bilder scheint nicht nur ein Teil der Kamera zu sein. Hier lösen Gedanken und Gefühle die Aufnahme aus. Wenn es nur einen richtigen Augenblick gibt, ein gutes Bild zu schaffen, können wir davon ausgehen, dass AGN ihn erwischt. Es ist ein bisschen so wie mit Luke Skywalker und dem Todesstern. Und da wir beim Thema sind: Auch Dunkles, Böses ist im Fotoband dabei. Das Kapitel Fear beginnt mit Motiven vom   Nazischießstand im Gedenkort Buchhorst, und die unerträgliche Düsterkeit, die aus dem Text spricht, beschleicht auch die Seele des Betrachtenden. Da wurde mir klar, dass entweder ich verrückt war oder die Welt. Mit diesem Satz endet das letzte Kapitel mit Wüstenbildern aus Arizona. Es ist ein schönes Motto für viele Geschichten dieses Fotobandes, wo in der Normalität oft das Verrückte liegt und Verrücktes ganz normal erscheint. In einer Würdigung zu Beginn spricht die Galeristin Julia Taut den Bildern eine fast dichterische Anmut zu. Man kann das fast auch weglassen.

Zum Weiterlesen meine Kurzrezension des Fotobandes EINblick, in dem AGN 82 Braunschweiger Künstlerinnen und Künstler porträtiert. Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (Braunschweig) (Hg.): EINblick. 82 Künstler des BBK Braunschweig. Photographiert von Andreas Greiner-Napp. Vita-Mine-Verlag, Braunschweig 2014. 191 Seiten, 29,95 EUR.

5. Sep 2021

Drei neue Bände der Braunschweigischen Rechtswissenschaftlichen Studien

von broemmling

Braunschweigische Rechtswissenschaftliche Studien

Edmundt Brandt: Artenschutzrechtliche Erfordernisse bei der Genehmigung von Windanlagen (= Braunschweigische Rechtswissenschaftliche Studien). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 123 Seiten, 32 EUR.

Ulrich Schmeddinck | Volker Mintzlaff | Erik Pönitz (Hg.): Entsorgungsforschung am Wendepunkt? Transdisziplinarität als Perspektive für die Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle (= Braunschweigische Rechtswissenschaftliche Studien). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2020. 142 Seiten, 32 EUR.

Edmundt Brandt | Ralf Kreikebohm | Jochen Schumacher (Hg.): Naturschutz – Rechtswissenschaft – Bewährung in der Praxis. Festschrift für Hans Walter Louis (= Braunschweigische Rechtswissenschaftliche Studien). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 449 Seiten, 68 EUR.

„Neue Reihe“ lesen wir oft in den Verlagsübersichten im Frühjahr und Herbst. Manche Reihen werden zu Standards. Duncker & Humblot etwa war bereits 2014 mit seinen Schriften zum Öffentlichen Recht bei Band 1270: Günter Winands: Der Schulversuch. Historische Entwicklung und geltendes Recht, kurz besprochen im StiftungsManager, NL 43). Die Schriftenreihe zum Stiftungswesen, in der 2012 die Dissertation des Rezensenten als Band 44 erschienen ist, wartet schon länger auf Band 50. Zu wie vielen Bänden es die Reihe Braunschweigische Rechtswissenschaftliche Studien bislang gebracht hat, lässt sich nicht verlässlich sagen. Die Reihe hat auf eine Nummerierung verzichtet. Das bringt sogar jene durcheinander, die es wissen müssen: Im Online-Verlagsverzeichnis sind zwei unterschiedliche Bände mit der Ziffer 4 versehen, der einzigen Ziffer im Übrigen, die dort auftaucht. Aber das sind bibliothekarische Kleinigkeiten, die über das Niveau des Inhalts nichts sagen.

Vielfältig wie die Rechtsgebiete sind die Themen, mit denen sich die Reihe befasst. Es geht um die rentenpolitische Agenda, um Gesetze zur Errichtung einer Stiftung und einer Hochschule, um die gesetzliche Krankenversicherung, um Öffentlichkeitsbeteiligung, Bankrottfestigkeit von Darlehensforderungen und vieles mehr. Mit Entsorgungsforschung beschäftigen sich mehrere Bände. Einen klaren Schwerpunkt bildet das Thema Windenergie. Edmund Brandt, geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtswissenschaften an der Universität Braunschweig, fungiert hier mal als Autor, mal als Herausgeber.

Wenn auch die aktuelle Zahl der Bände unklar ist: Es sind mindestens 14 Bände erschienen. Denn mindestens 14 Bände der Reihe hat die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz gefördert, die meisten Bände sind in VIERVIERTELKULT vorgestellt. Hier sei auf drei Bände verwiesen, die jüngst in der Reihe herausgekommen sind. Es sind regionale Themen von überregionaler Bedeutung. Die Asse liegt nicht weit von Braunschweig entfernt, und  Morsleben ist nur wenig weiter weg. Das Thema der Zwischen- und Endlagerung radioaktiven Abfalls ist im östlichen Niedersachsen seit Jahrzehnten präsent. Die Endlager-Kommission hat zwischen 2016 Empfehlungen formuliert, mit der Forschungsplattform ENTRIA sind zwischen 2013 und 2018 auch geisteswissenschaftliche Disziplinen in die Endlagersuche eingebunden worden. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat in einem weiteren Projekt ein interdisziplinäres Team finanziert, bestehend aus je einem Physiker, Geologen, Ingenieur und Rechtswissenschaftler. „Projektbuch“ nennt sich nun der Band zur Entsorgungsforschung am Wendepunkt. Das Projekthafte kommt unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass am Flipchart in der Diskussion entstandene Grafiken als Foto dokumentiert sind und nicht für die Publikation grafisch gestaltet wurden. Das Ergebnis bringt für die Entsorgungsforschung keine unmittelbaren Ratschläge. Allerdings sind hier positive und negative Momente interdisziplinärer Forschung wie auch von Bürgerbeteiligungs- und Entscheidungsmodellen ausführlich diskutiert. Es ist eher ein Band über Wissenschaftskommunikation geworden als über interdisziplinäre Arbeitswege.

Um Artenschutzrechtliche Erfordernisse bei der Genehmigung von Windenergieanlagen geht es im zweiten Band. Das Tötungsverbot ist ein Aspekt im Zentrum der Überlegungen, die viele Aspekte berühren. Vor allem geht es um die Spielräume, die der Gesetzgeber Verwaltung und Gerichten lassen darf. Diese Spielräume sieht der Verfasser durch das Urteil des Verfassungsgerichts vom 23. Oktober 2018 begrenzt. Dass jüngst öffentlich wurde, dass man bei der Argumentation im Themenfeld Lärm bis heute mit falschen Zahlen arbeitet – dass die Windräder viel leiser sind als angenommen –, konnte hier noch nicht berücksichtigt werden.

Hans Walter Louis war zwischen 1998 und 2013 erst Mitherausgeber, dann Schriftleiter der Zeitschrift Natur und Recht NuR. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass auch weniger prominente Bereiche des Naturschutzrechtes erforscht wurden, und das durchaus mit Humor, wie sein Beitrag Der Weihnachtsmann und der Naturschutz. Ein niedersächsisches (…) Drama in sechs Versen frei nach Theodor Storm zeigt. Eine Festschrift in der Reihe der Braunschweigischen Rechtswissenschaftlichen Studien ehrt nun Hans Walter Louis, der in diesem Jahr 73 wird.

28. Aug 2021

Rezension Frick|Grütter: Abbreviatio

von broemmling

Julia Frick | Oliver Grütter (Hg.): Abbreviatio. Historische Perspektiven auf ein rhetorisch-poetisches Prinzip. Schwabe Verlag, Basel 2021. 470 Seiten, 74 EUR.

Wieder ist eine Erkenntnis aufgegeben: Ein Text ist nach Kürzung und Straffung besser lesbar? Sein Inhalt klarer verständlich? Mitnichten.  Ein Text lässt sich auf vielerlei Art und Weise kürzen, der größte Unterschied besteht hier in der Person: Kürzt der Autor oder wird er gekürzt? Auch der Zweck macht den Unterschied: Ohne zu tief in die Kürzungskunde einzutauchen, um nicht bei Kürzeln und Kleinen Formen anzukommen, lassen sich Kürzungen literarischer Werke in drei Klassen gliedern: Zur einen Klasse gehören Kürzungen, um Längen zu vermeiden, Aufführungs- oder Lesedauer zu verringern. Hier können wir auch von Streichungen schreiben. Was dabei herauskommt und wieviel dabei verlorengeht, mag man an Einspielungen klassischer Werke erkennen, die gerne als Großer Querschnitt vermarktet werden. Da ist bei Haydns Schöpfung natürlich der Firmamentchor zu hören, während kein einziges Mal das Kontrafagott ertönt. Eine andere Klasse binden Zusammenfassungen, die den Inhalt wiedergeben, also Beschreibungen, wie sie oft an Kapitelanfängen stehen, nach dem Motto Sechstes Kapitel, in welchem … . Die literarische Kürzungsform, eine rhetorisch-poetische, um die es den Autoren des Bandes geht, ist keine Kürzung, um Zeit zu sparen. Wer hier kürzt, verdichtet. Das wiederum fordert von den Lesenden womöglich zusätzliche Zeit. Es ist an ihm zu kombinieren, was hier, was dort weggelassen wurde, welche Verbindungslinie man ziehen muss, um den Gesamtzusammenhang, den ganzen Text zu verstehen. Der so gekürzte Text gilt dabei meist als eigenes Kunstwerk.

Was für viele von uns neu ist, was übertrieben genau definiert, wenn es gar als „Prinzip“ funktioniert, war schon vor Jahrtausenden gewohnte Vorgehensweise. Überlegungen, dass er die Zeit der Lektüre verlängere, wenn er den Text mit Bedacht gekürzt hatte, stammen von Horaz. Wie reich und vielschichtig die Welt des Abbreviatio ist, offenbart der neue Sammelband von Julia Frick und Oliver Grütter. Grundlage der versammelten Beiträge ist eine Tagung aus dem Jahr 2019. Die wissenschaftlichen Aufsätze machen uns vor allem klar, mit welchem Dünkel die Menschen auf die Gesellschaften vergangener Jahrhunderte geschaut haben. Denn lange Zeit ging man davon aus, dass Kürzungen vor allem der schwindenden Aufnahmebereitschaft der Zuhörerschaft geschuldet waren. Das Gegenteil war der Fall, stellt die Forschung heute fest. Dünkel verweist bis heute ohnehin meist auf die Begrenztheit der eigenen Vorstellungskraft. Und die mag sich des Kalauers erinnern, der aus den 425 Zeilen von Schillers Lied von der Glocke ganze vier macht (wenn wir die zwei Zeilen großzügig teilen wollen: „Loch in Erde, / Bronze rin. / Glocke fertig: / bim bim bim.“

Nachdem wir eingesehen haben, dass nicht kürzer automatisch immer besser ist, sollten wir uns überhaupt Gedanken darüber machen, wie lang lang und wie kurz kurz eigentlich ist. Wir hatten Grobi aus der Sesamstraße, der uns „lang“ und „kurz“ voneinander unterscheiden half. Die Menschen des Mittelalters waren da weiter; In ihrem Beitrag „Immer schneller kürzer“ verweist Susanne Köbele auf Johann von Konstanz und – programmatisch – auf Ulrich von Liechtenstein, die sich mit dem „rhetorischen Zeitdilemma“ befassten „“Redselige Breite ist ebenso verpönt wie allzu zielstrebige Kürze“): „Sag schnell, was du willst, aber nicht zu schnell, denn übereiltes Abkürzen kann den Liebes- und Dichtererfolg ebenso ruinieren wie Trödeln. Tu ihr deine Beständigkeit beständig kund, aber langweile nicht durch Länge und Dauernd-Reden.“ Vieles lässt sich auch in den übrigen Beiträgen entdecken. Wer aber bei Lang Lang und Kurz gleich bei klassischer Musik und neoklassischer Politik ist, dem sei eine auf die Antonyme „kurz“ und „lang“ besser passende Episode aus meiner Kindheit erzählt. Auf dem Berliner Canisius-Kolleg unterrichtete der Jesuitenpater Karl Länger SJ Physik. Es bedurfte keiner großen Fantasie für den allerorts niedergeschriebenen Spruch „Macht den Länger kürzer!“ Einziger Witz Problem beim ansonsten nicht sehr originellen Namenswitz: P. Länger SJ maß ohnehin nur bescheidene 1,52 Meter. Was ist lang? Was ist kurz? Das neue Buch über Abbreviationes hat zumindest die rhetorisch-poetische Antwort.

14. Aug 2021

In memoriam Kurt Biedenkopf

von broemmling

Zahllose Geschichten ranken sich um Kurt Biedenkopfs Zeit bei der Hertie School of Governance. Während er dem Kuratorium vorstand, baute ich in den Jahren 2004 bis 2006 das Marketing für die Neue in der Berliner Hochschullandschaft auf. In diesem Rahmen durfte ich den ganz besonderen Charakter der neuen Hochschule für Public Policy unter anderem in Kairo und Beirut präsentieren.

In unserer gemeinsamen Zeit an der Hertie School erschien mein erstes Buch Die Kunst des Stiftens. 20 Perspektiven auf Stiftungen in Deutschland. Grundlage war meine Artikelserie zum Thema Stiftungen in der Frankfurter Rundschau, die erste Serie zu diesem Thema in einer überregionalen Tageszeitung überhaupt. Das hat auch Kurt Biedenkopf beeindruckt, wie er mir sagte. In einer Zeit, in der Dank noch eine Selbstverständlichkeit war, schenkte er mir seine Erinnerungen der Jahre 1989-1990, die 2006 gerade erschienen waren. Kurze Zeit später nahm ich Abschied von der Hertie School of Governance. So war es verabredet, denn ich wollte mich intensiver meiner Doktorarbeit über Stiftungen in Norwegen widmen und meine Einnahmen aus selbstständiger, unabhängiger Beratung und journalistischer Tätigkeit erzielen.

Kurt Biedenkopf genoss bei allen Mitarbeitern der Hertie School, gleich welcher politischer Couleur, hohes Ansehen. Dass er ein kluger Kopf war, merkte man in den Besprechungen genauso wie bei öffentlichen Auftritten oder im persönlichen Gespräch. Er hatte durchaus Humor. Die Liste der Anekdoten ist lang. Mein Lieblingszitat aus seinem Munde, das nur Menschen verstehen, die dabei waren: Öl!  Und als passendes Schlusswort ein Zitat nicht aus seinem Munde: Für mich war er nie der kleine Kurt.