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Kontinuität in unsicheren Zeiten: Literatur zum Stiftungswesen, Vereinswesen, Gemeinnützigkeitsrecht auf dem Prüfstand

von broemmling am 10. April 2022

Mit Erscheinen der Nachlieferung 1/2022 des StiftungsManagers (exklusiv für Abonnenten), Standard-Loseblattwerk für Stiftungen, Vereine, Gemeinnützigkeit  im Erich Schmidt Verlag, sind die Besprechungen der Nachlieferung 4/2021 zu entfernen. Hier sind sie nun nachzulesen.

Brigitte Grande, Edgar Grande, Udo Hahn (Hg.): Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke (= Edition Politik 111). Transcript Verlag, Bielefeld 2021. 184 Seiten, 29,50 Euro. 978-3-8376-5654-1.

Die jüngst an dieser Stelle vorgestellten Überblickswerke zum Thema Zivilgesellschaft vermittelten einen umfassenden Überblick durch Sensibilisierung für unterschiedliche Aspekte der Forschungsweise einzelner Disziplinen. Gerade das Handbuch Zivilgesellschaft (Maecenata Schriften 10, Oldenbourg Verlag) benannte interne Debatten und aktuelle Forschungsfelder. Ein neuer Band der Edition Politik aus dem Transcript Verlag, herausgegeben von Brigitte Grande, Edgar Grande und Udo Hahn, fasst die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Bundesrepublik Deutschland in groben Zügen zusammen. Der Bericht über Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke muss lückenhaft sein, das kündigt schon das Vorwort an. Die Gewerkschaften finden Beachtung, die neuen sozialen Bewegungen, die Kirchen. Beim zivilgesellschaftlichen Einsatz dominierten politische Mitte-links-Positionen von Gruppen mit zumeist säkularer Struktur, wobei es auch einen anderen Teil der Zivilgesellschaft gebe, der materialistisch und überwiegend national oder lokal ausgerichtet sei, so Manfred G. Schmidt in seinem Beitrag über die Geschichte der Zivilgesellschaft. Stiftungen haben in dieser Auswahl bis auf seltene Nennung unter ferner liefen keinen Platz. Selbst für eine lückenhafte Darstellung erscheint diese Auslassung schwierig. Aufschlussreich bleibt das Buch daher v. a. durch besondere Beiträge wie das Interview mit Wolfgang Thierse oder den Bericht von Christine Scheel über den Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf – aber auch hier hätte ein zusätzlicher Blick vor dem Druck nicht geschadet, denn in der Oberpfalz kamen Tränengaseinsätze zum Einsatz.

Jenny Wüstenberg: Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945. (= Memory Studies Band 2). LIT Verlag, Berlin 2020. 360 Seiten, 49,90 Euro. 978-3-643-14798-1.

Dauerhaftigkeit ist ein Merkmal von Stiftungen, auf das Freunde des Stiftungswesens gern verweisen. Dem Ewigkeitsgedanken wird auch die zunehmend mögliche Einrichtung als Verbrauchsstiftung oder Stiftung auf Zeit nichts an seinem Wert nehmen. Stiftungen sind ein Teil des Wissens und Gewissens der Menschen – und das auf mannigfache Weise, wie die Namen der Organisationen zeigen. Institutionen, die auf Dauer angelegt sind, scheinen prädestiniert für eine zentrale Rolle in der Erinnerungskultur. Sie sind selbst Erinnerungsmonument für ihre Stifterin oder ihren Stifter. Folgerichtig sind Stiftungen eine besonders häufig gewählte Rechtsform, wenn es um Erinnerung an politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen geht. Sie eignen sich sowohl für staatliche wie zivilgesellschaftliche Initiativen. Jenny Wüstenberg hat die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945 untersucht. Das bemerkenswerte Buch thematisiert das Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Einsatz einerseits und dem Engagement von Graswurzelorganisationen, Opfergruppen und Angehörigen andererseits. Die Autorin, die Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Nottingham Trent University in England lehrt und Co-Präsidentin der Memory Studies Association ist, konzentriert sich dabei auf das öffentliche Erinnern und Gedenken. Monografien, familiäre und private Aktionen bleiben also außen vor. Mit dem Zusammenhang von Erinnerungsaktivismus und Demokratie berührt sie aber genau den Themenkomplex, mit dem es auch Stiftungen zu tun haben, wenn es um die demokratische Legitimation ihres Handelns geht. Gleichzeitig laufen Stiftungen Gefahr, staatlich vorgegebene Denkprozesse nachzumachen oder zu finanzieren – dies gilt nicht nur für vom Staat errichtete Stiftungen. Die Relevanz des Themas für Mitarbeitende in Stiftungen wächst von Kapitel zu Kapitel und gipfelt im Abschlussteil, der negative und positive Aspekte von hybriden Institutionen bei der demokratischen Erinnerung beleuchtet. Es sprechen v. a. Mahnungen und Ermahnungen aus der Darstellung: Weder darf die Institution der Versuchung erliegen, nur die – so es sie gibt – staatliche Lehrmeinung zu verbreiten, sondern muss weiterhin auch jenen Engagierten eine Bühne zu bieten versuchen, die sich einer Einbindung entziehen, noch darf sie einzelne Akteure innerhalb ihrer Strukturen dominieren lassen. Die Bedeutung dieser Stiftungen und anderer Institutionen als Hybrideinrichtungen, die weder ganz Staat noch ganz Zivilgesellschaft sind, stellt die Autorin nicht infrage.

Dieter Deisenroth, Annette Weinke (Hg.): Zwischen Aufarbeitung und Geheimhaltung. Justiz- und Behördenakten in der Zeitgeschichtsforschung. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 225 Seiten, 35 Euro. 978-3-8305-3922-3.

Ob eine Stiftung ihre Unterlagen aufbewahren soll und wie transparent und zugänglich für die Öffentlichkeit solche Archive sein sollen, darüber gehen selbst innerhalb des Stiftungswesens die Meinungen auseinander. Die Finanzbehörden geben sich für die meisten Unterlagen mit sechs, maximal zehn Aufbewahrungsjahren zufrieden. Damit ist noch nichts über die historische Bedeutung gesagt, denn natürlich werden Forschende in 100 Jahren nur auf solche Unterlagen zurückgreifen können, für deren Aufbewahrung man sich irgendwann bewusst entschieden hat. Gemeinnützige Stiftungen haben hier eine besondere Aufgabe, die mit Transparenz zu tun hat. Werden wir irgendwann noch die Golo-Mann-Biografie über den Namensgeber einer großen Stiftung lesen dürfen, die die Stiftung unter Verschluss hält, weil das Ergebnis ihr nicht gefiel, die aber immerhin mit steuerbefreiten Stiftungsgeldern honoriert wurde? Auf einen weiteren Aspekt, bei dem Stiftungen eine Rolle spielen, macht Raphael Thomas in seinem Beitrag über „privatisierte“ Regierungsakten deutlich, der im neuen Sammelband Zwischen Aufarbeitung und Geheimhaltung erschienen ist. So lagern im Archiv der politischen Stiftungen diverse Dokumente, die eigentlich ins Bundesarchiv gehören. Der Autor nennt als Beispiel Verhandlungsprotokolle aus der Adenauerzeit in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Eine britische Wissenschaftlerin versucht seit Jahren vergeblich, die Dokumente einzusehen. Dieter Deisenroth, der den neuen Band gemeinsam mit Annette Weinke herausgegeben hat, lässt diese Wissenschaftlerin, Dr. Gaby Weber, in einem Interview zu Wort kommen. Es schreckt auf, wenn sie Akten versteckenden Institutionen vorwirft, damit Fake News den Weg zu ebnen. Allerdings hat das neue Bundesarchiv von 2017 die Herausgabe von Akten nicht gerade erleichtert, auch das wird in dem Band deutlich.

Jahrbuch für Regionalgeschichte 38 (2020). Hg. von Oliver Auge. Franz Steiner Verlag, Bielefeld 2021. 227 Seiten, 64 Euro. 978-3-515-12752-3.

Nicht nur Bürgerstiftungen konzentrieren sich bei ihren Aktivitäten auf die Region. Die Namen einiger großer Stiftungen verweisen auf regionale Förderschwerpunkte, die Baden-Württemberg Stiftung und die Oberfrankenstiftung etwa machen die Zuordnung leicht. Dass die Joachim Herz Stiftung und die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius v. a. in Hamburg fördern, sollte man wissen. Dass im Jahrbuch für Regionalgeschichte immer wieder Stiftungsgeschichte Gegenstand der Aufsätze und Rezensionen ist, darf also nicht verwundern. Im aktuellen Band erfahren wir von Max Häberlein Aufschlussreiches über Julius Echter; dem Würzburger Fürstbischof verdanken wir u. a. das Juliusspital in Unterfrankens Hauptstadt. Der Autor dieses Aufsatzes lehrt an der Universität Bamberg und war zehn Jahre lang Herausgeber des Jahrbuchs für Regionalgeschichte. Nun ist die Herausgeberschaft zu Oliver Auge an die Universität Kiel gewandert, und wer sie noch nicht kannte, lernt eine weitere regional tätige Stiftung kennen: Die Burgenstiftung Schleswig-Holstein hat den Band gefördert.

 

Von → Allgemein, Rezension