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Neuerscheinungen zum Stiftungswesen

von broemmling am 12. Dezember 2021

Aus dem StiftungsManager 3/2021, heute ersetzt im Standard-Loseblattwerk für Stiftungen, Vereine, Gemeinnützigkeit, das im Erich Schmidt Verlag erscheint, durch die Nachlieferung 4/2021 (hier erst nachzulesen bei Austausch durch Neuerscheinungen für die Nachlieferung 1/2022)

Benjamin Schmidt: Europäische Gemeinnützigkeit (= Deutsches, Europäisches und Vergleichendes Wirtschaftsrecht, Band 125). Nomos Verlag, Baden-Baden 2020. 505 Seiten, 132 Euro. 978-3-8487-6932-2.

Als 2014 EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker das Projekt zur Schaffung der Rechtsform Europäische Stiftung von der Tagesordnung nahm, dürften einige Doktorand_innen sich still und leise für immer von ihrem Promotionsthema verabschiedet haben. Denn länderübergreifendes Stiften war ein beliebtes Thema, das zudem 25 länderspezifische Perspektiven erlaubte. Benjamin Schmidt ließ sich von der allseitigen Enttäuschung über den Beschluss der Kommission nicht beirren und verfasste eine vergleichende Arbeit zum Gemeinnützigkeitsrecht in Europa. Wer das Vorwort von Werner F. Ebke gelesen hat, des Herausgebers der Reihe „Deutsches, Europäisches und Vergleichendes Wirtschaftsrecht“, in der die Dissertation erschienen ist, beginnt ob des überschwänglichen Tons („Ein mitreißendes, kreatives Werk!“) die Lektüre skeptisch. Doch schon bald gibt man zu: Das Vorwort war keineswegs übertrieben. Benjamin Schmidt zeichnet auf 500 Seiten ein nahezu vollständiges Bild der Gemeinnützigkeit in Europa, die Voraussetzungen, die einzelnen Stufen der Besteuerung oder Befreiung. Wo die Lage unübersichtlich zu werden droht, warnt er vor Fallstricken, schließt Hintertüren („Keine aus einem europäischen Gemeinwohl ableitbare Förderpflicht ausländischer Gemeinnutzzwecke“) und zeigt sinnvolle Wege aus dem Dickicht auf. Er erklärt Grundeigenschaften und weitere Merkmale gemeinnütziger Organisationen – ausgehend von Deutschland. Er weiß dabei auf die Länder zu verweisen, die ähnliche Regeln haben. Wenn Länder von diesen Merkmalen abweichen, hat der Autor meist eine plausible Erklärung dafür und kann etwa zeigen, warum der Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung sich nicht notwendigerweise aus dem Gesetz ergeben muss, sondern auch durch selbstverständliche Transparenzerwartung von außen sichergestellt werden kann. Fast im Vorbeigehen spricht er dem Verweis auf die Kohärenz des Steuersystems die Tauglichkeit als Argument ab. Bis ins letzte Kapitel versäumt Schmidt nicht, Begriffe und Strukturen zu hinterfragen, etwa wo es um auslandsoffene und inlandsbezogene Regelungen im deutschen Gemeinnützigkeitsrecht gibt. Der Autor wagt trotz des Rückschlags bei der Europäischen Stiftung einen ermutigenden Blick auf die Zusammenarbeit gemeinnütziger Organisationen in Europa. Wer Schmidts Werk gelesen hat, versteht nun nicht nur etwas von Gemeinnützigkeit im europäischen Zusammenhang; er hat auch einen umfassenden Einblick in Mechanismen des Gemeinwohls insgesamt erhalten.

Lotte Busch: Die Cy-près-Doktrin. Änderungen des Stiftungszwecks in den USA und in Deutschland (= Schriftenreihe des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen 23). Nomos Verlag, Baden- Baden 2021. 484 Seiten, 118,- Euro. 978-3-8487-8072-3.

Dass wir es hier mit einer weiteren Untersuchung zur Änderung des Stiftungszwecks zu tun haben, ist kein Zufall: „Die Frage, inwieweit der Zweck einer Stiftung nach ihrer Errichtung noch geändert werden kann, ist in Deutschland eines der meist diskutierten Themen des Stiftungsrechts und von erheblicher Bedeutung für Stiftungen, deren Organe, Stifter und Stifterinnen sowie die Allgemeinheit.“ So beginnt Lotte Busch ihre Dissertation, in der sie Möglichkeiten der Änderung des Stiftungszwecks in Deutschland mit jenen in den USA vergleicht. Auch Ländervergleiche des Stiftungswesens in den USA und in Deutschland gibt es in der Stiftungsliteratur zuhauf; allerdings kaum mit dem Schwerpunkt auf Handlungsfreiheiten beim Stiftungszweck. So füllt die Autorin eine Lücke, und sie füllt sie sehr gut: Nach 200 Seiten ausführlicher Beschreibung des deutschen Stiftungssystems und der Rechtsformen amerikanischer Stiftungen führt die Autorin endlich den Begriff ein, der der gesamten Untersuchung den Namen gibt: Die Cy-près-Doktrin, 1490 erstmals aktenkundig, geht bis auf das römische Recht zurück und bedeutet im Wortsinn, ein geänderter Stiftungszweck solle dem ursprünglichen Stifterwillen „so nah wie möglich“ oder auch nur „nah“ sein („aussi près que possible“). Herennius Modestinus, ein römischer Jurist, hatte bereits nach diesem Grundsatz gehandelt, als ein Stiftungszweck den Gesetzen entgegenstand. Als Cy-près-Doktrin kennen diesen Grundsatz bei Zweckänderungen die Rechtsordnungen in den Common-Law-Staaten des Commonwealth von Australien über Indien bis nach Südafrika. Aber auch in Frankreich und Spanien ist der Begriff geläufig. In Deutschland nicht, und das, obwohl die Philosophie bei einer Zweckänderung hier kaum eine andere ist als die, die als Hintergrund der Cy-près-Doktrin dient. Aber es ist nicht im Gesetzestext verankert, war es zumindest bisher nicht. Insofern hilft der Rechtsvergleich, den die Autorin vornimmt. Während in Deutschland zwei Parteien an einer Zweckänderung beteiligt sind, kommt in den USA eine dritte hinzu, da das Verfahren vor Gericht stattfindet. Die Autorin arbeitet auch die feinsten Unterschiede heraus, verliert aber nie den Faden. Die historischen Umwege etwa über die Unterscheidung zwischen Hauptzweck und speziellem Stiftungszweck bei Zweckänderungen in der bayerischen Verfassung dienen dabei dem tieferen Verständnis von Zweckänderungen im Stiftungswesen. Dass die Autorin sich in ihrer Arbeit mit Vorschlägen beschäftigt, die im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses für die Stiftungsrechtsreform zur Diskussion standen, die mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts einen vorläufigen Abschluss gefunden hat, macht die Untersuchung nicht obsolet. Die Cy-près-Doktrin wird ein wichtiges Element des US-amerikanischen Stiftungswesens bleiben, und das Wissen um Ursprung und Inhalt der Doktrin dürfte auch für die kommenden Jahrzehnte von Nutzen sein. Hierzu zählen die Unterscheidung zwischen privatnützigen und gemeinnützigen Stiftungen und die Abwägung von Stifterwillen und Gemeinnutzen – mit möglicherweise veränderter Gewichtung im Laufe der kommenden Jahrhunderte.

Lukas Brugger: Die gemischte Stiftung. Die Stiftung zur Verfolgung unter- schiedlicher Zwecke im Lichte des schweizerischen ZGB und des österreichischen PSG (= Schriften zum Stiftungsrecht 12). Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2019. 346 Seiten, 92 Euro. 978-3-7190-4321-6.

Das deutsche Stiftungswesen ist vielfältig; es gibt kaum etwas, das es nicht gibt. Nach der Cy-près-Doktrin haben wir es nun mit der gemischten Stiftung gleich mit einem zweiten Phänomen im Stiftungswesen zu tun, das zwar dem Inhalt nach auch hier- zulande existiert, was aber weder in Gesetzestexten noch im Rechtsverkehr sichtbar ist. Wieder geht es um die Verfolgung der Stiftungszwecke. Eine gesetzliche Definition der „gemischten Stiftung“ liefert nur das liechtensteinische Stiftungsrecht – in diesem Fall konzentriert auf die Familienstiftung. Diese gilt als gemischt, wenn der familiengestützte Stiftungszweck zwar überwiegt, aber auch gemeinnützige oder andere privatnützige Zwecke verfolgt. Gemischte Stiftungen können vieles sein, die Definition variiert und ist landesabhängig mal konkreter, mal weniger konkret; der Autor des Buches, Lukas Brugger, muss sich bei der Arbeit an seiner Dissertation enorm konzentriert haben, um nicht durcheinanderzukommen: Hans Michael Riemer definiert sie als „Stiftungen, deren Zweckbestimmung, als Ganzes betrachtet, a) sowohl in den Bereich der Zwecke gewöhnlicher als auch in denjenigen einer oder mehrerer gesetzlicher Sonderformen oder b) in den Bereich zweier oder aller gesetzlicher Sonderformen fällt“. Hüttemann sieht den Begriff der gemischten Stiftung „im weiteren Sinne“ als gleichwertig einer Stiftung mit mehreren – inhaltlich unverbundenen – Zwecken an, während gemischte Stiftungen „im engeren Sinne“ für ihn solche sind, „die gemeinnützige mit privaten Elementen verbinden“. Nur fünf von zahlreichen Arten gemischter Stiftungen in Österreich, die der Autor untersucht, seien hier genannt, um die Sorgfalt seiner Arbeit zu verdeutlichen: gemeinnützige Familienstiftungen, Familienstiftungen zur Begünstigung der Allgemeinheit, Familienstiftungen mit kirchlichen Teilzwecken, Familienstiftungen mit Teilzwecken zur Arbeitnehmerförderung und Familienstiftungen mit familienfremden Begünstigten. Bei der Darstellung der Situation gemischter Stiftungen in der Schweiz macht der Autor auf verschiedene Risiken aufmerksam; u.a. scheint die Aufsicht über Stiftungen mit zeitversetzten Zwecken und Sukzessivstiftungen unzureichend. Gerade weil der rechtsdogmatische Charakter des Werkes dominiert, wäre es aufschlussreich gewesen zu erfahren, warum gemischte Stiftungen in Deutschland in geringerem Grade möglich sind.

Elisa Bortoluzzi Dubach: Stiftungen. Der Leitfaden für Antragsteller. Helbing Lichtenhahn Verlag, 3., aktualisierte und erweiterte Auflage Basel 2021. 296 Seiten, 53 Euro. 978-3-7190-4307-0.

Ein verlässlicher Ratgeber für Institutionen, Vereine und Projektverantwortliche war die Handreichung über die Einwerbung von Stiftungsmitteln für die eigenen Projekte schon seit der ersten Auflage 2007. Elisa Bortoluzzi Dubach, die Organisationen zu Förderungen und Sponsoring berät, brachte damals einen „Leitfaden für Gesuchsteller“ heraus, mit dem man in Deutschland wenig anfangen konnte. Der 20 Bände umfassende Brockhaus führte den Begriff „Gesuch“ über Jahrzehnte nicht, und auch heute ist im Bedeutungswörterbuch der schweizerische Gebrauch des Wortes für einen Antrag auf Fördermittel bei einer Stiftung nicht herauszulesen. Mit der 3., aktualisierten und erweiterten Auflage ist das Buch auch in der deutschen Sprache angekommen. Die 3. Auflage offenbart die Bedeutung eines einzigen Wortes. Denn die Vorauflagen wirkten, unabhängig vom Inhalt, durch den Begriff „Gesuch“ mit all seinen Varianten wie „Kleingesuch“ und „Gesuchsteller“ für Leserzielgruppen in Deutschland nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit. „Stiftungen. Der Leitfaden für Antragsteller“ heißt nun die 3. Auflage, die mit neuer Typografie noch einmal deutlich frischer daherkommt. Durch die Ersetzung von „Ge- such“ durch „Stiftung“ ändert sich inhaltlich überhaupt nichts. Ein anderer Wortaus- tausch verschiebt auch den Inhalt, obgleich der Schritt auch hier wohlüberlegt ist. „Wirkungsmessung“ tritt an die Stelle von „Erfolgskontrolle“. Die letzte Kritik mag piefig wirken oder zu detailliert scheinen. Aber warum im Buch „Stiftungslandschaft“ immer wieder in Anführungszeichen gesetzt wird, erschließt sich bei der Lektüre nicht. Hier besteht weder die Gefahr eines Missverständnisses noch muss auf Ironie verwiesen werden. Gerade aus Förderanträgen muss ein besonders sensibler Umgang mit Sprache hervorgehen. So sind auch in der 3. Auflage einige Irritationsmomente geblieben. Inhaltlich unterscheidet sich die neue Auflage kaum von der vorigen; im Serviceteil sind die Rubriken Forschungsnetzwerke, Suchmaschinen und Datenbanken hinzugekommen, gravierende Änderungen hat es auch im Vergleich zur ersten Auflage nicht gegeben. Da aber, wie anfangs erwähnt, dieses Werk als verlässlicher Ratgeber dient, seit es auf dem Markt ist, sei jedem Antragsteller der Kauf empfohlen, der keine der Vorauflagen hat. Manchmal lohnt das Warten.

Marc Frick: Die Gabe als drittes Prinzip zwischen Markt und Staat? Perspektiven von Marcel Mauss bis zur Gegenwart (= Edition Politik 112). Transcript Verlag, Bielefeld 2021. 208 Seiten, 35 Euro. 978-3-8376-5661-9.

Zur Vernunft kommen die Menschen immer erst zu spät. Als die Finanzkrise die Finanzmärkte durcheinanderwirbelte, als unethisches Bankgebaren und Kunden täuschende Abgaswerte die Wirtschaft in Misskredit brachten, spürten deren Kritiker Aufwind: Wen die soziale Kälte des Kapitalismus schon länger frieren machte, erhob nun seine Stimme lauter. Wer warnen oder mahnen wollte, konnte dies auf mehr Plattformen tun als je zuvor. Viele mahnende Stimmen suchten nach einer dritten Kraft zwischen Markt und Staat. Eine ähnliche Entwicklung gab es vor einem knappen Jahrhundert: In der Weltwirtschaftskrise wurden die Gefahren rücksichtslosen Wirtschaftens sichtbar, und es entstand die Idee eines dritten Prinzips jenseits von Staat und Markt. Marc Frick ist weder der Einzige noch der Erste, der diese Parallele gefunden hat, sein Verdienst liegt woanders: Er stellt den französischen Soziologen Marcel Mauss in den Mittelpunkt seiner Untersuchung und fragt, was wir von seinem Essay Die Gabe aus dem Jahr 1929 für die heutige Gesellschaft lernen können. Mauss entwickelt in diesem Essay die Idee einer Moral der Gabe. Diese Moral hilft ihm in der weiteren Argumentation, dem reinen ökonomischen Kalkül Werte wie starke zwischenmenschliche Beziehungen, Anerkennung und gegenseitige Verpflichtung entgegenzusetzen. Die großen Ideen, die Massenideologien, die grandiosen Gesellschaftsgebäude sind heute versunken, zitiert der Autor den Philosophen Marcel Hénaff. Der hatte 2014 unterschiedliche Arten von Gaben untersucht. Die wohltätige und die solidarische Gabe erwarten keine Gegenleistung. Aber die Gabe ist nicht selbstverständlich, nicht planbar, nicht einforderbar. Und doch, so der Abschlussgedanke des Autors, verhindert die Gabe revolutionäre Umbrüche, die in der Realität bislang nie zu einer besseren Gesellschaft geführt hätten, meint der Autor. Es steckt für Stiftungen aber noch ein anderer Rat dahinter: Trotz funktioneller Mechanismen wie Staat und Markt könne nicht „auf die kleinen und großen Gesten der Menschlichkeit verzichtet“ werden, schreibt der Autor.

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