Literatur zu Stifterwillen, Vermögensnachfolge, Schuldrecht, Afrika, Anton Wilhelm Amo
Mit Erscheinen der Nachlieferung 2/2022 des StiftungsManagers (exklusiv für Abonnenten), Standard-Loseblattwerk für Stiftungen, Vereine, Gemeinnützigkeit im Erich Schmidt Verlag, sind die Besprechungen der Nachlieferung 1/2022 zu entfernen. Hier sind sie nun nachzulesen.
Julian Schick: Das Argument des „mutmaßlichen Stifterwillens“ (=Schriftenreihe zum Stiftungswesen Band 50). Nomos Verlag, Baden-Baden 2021. 304 Seiten, 78 Euro. 978-3-8487-8077-8.
Die Schriftenreihe zum Stiftungswesen, herausgegeben vom Deutschen Stiftungszentrum (DSZ) im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, gehört zu den ältesten Reihen, die sich mit stiftungsrelevanten Fragen befassen. 1969 erschien im Nomos Verlag als Band 1 der Schriftenreihe zum Stiftungswesen „Deutsche Stiftungen für Wissenschaft, Bildung und Kultur“, zusammengestellt und mit vorausgeschickten Bemerkungen versehen von Klaus Neuhoff und Horst Vinken. In Deutschland war es die erste umfangreiche Zusammenstellung von Stiftungen unterschiedlicher Rechtsform. Viele Folgebände zu großen Einzelthemen wurden zu Grundlagen- und Ausgangswerken für künftige Forschungen, Henning von Vieregges Parteistiftungen zum Beispiel (Band 11), Bernd Andricks Stiftungsrecht und Staatsaufsicht (14) oder Markus Heuels Entwicklung der Unternehmensträgerstiftung in Deutschland (23). Ein gutes halbes Jahrhundert nach dem ersten Band ist in der Schriftenreihe nun der 50. Titel erschienen. Sie erscheint weiter bei Nomos, gleichwohl erlebte das Reihenjubiläum keinerlei Würdigung. Dabei ist der Gegenstand des 50. Bandes durchaus jubiläumswürdig. Von den beiden entscheidenden Themen der Vorgeschichte und Zukunft jeder Stiftung, Stifterwille und Stiftungszweck, befasst sich Julian Schick in seiner Dissertation mit dem Argument des „mutmaßlichen Stifterwillens“. Der Titel lässt vermuten, dass der Autor die Stiftungsarbeit dem Risiko ausgesetzt sieht, in Bereichen zu wirken, für die sie nicht gedacht war. In der Tat formuliert der Autor immer wieder so, dass uns bei der Lektüre eine fast kleistsche Zerbrechlichkeit der Stiftungswelt vor Augen steht. Auf den letzten Seiten heißt es: „Die Stiftung ist in ein dichtes Geflecht potenziell unterschiedlichster Interessen eingebunden und darauf angewiesen, dass die Stiftungsbeteiligten im Rahmen ihrer rechtlichen Kompetenzen agieren, um so der Stiftung nicht die eigenen Zwecke aufzuzwingen.“ Das macht nachdenklich nicht nur für die Entscheidungen der Gremien hinsichtlich der Satzung einer Stiftung, sondern letztlich für jede einzelne Förderbewilligung. Dem Stifter wird geraten, noch klarer zu formulieren und noch weiter in die Zukunft zu denken. Bis der Staat hier nicht neu regelt, und er könnte dies ohnehin nur, indem er die Stifterwünsche stark einschränkte, ist die Gesellschaft angehalten, die möglichen Missverständnisse zwischen Stifterwille, sei er mutmaßlich oder wirklich, und der tatsächlichen Umsetzung zu akzeptieren. Das ermutigt nicht gerade, es beeindruckt aber, wie kompliziert eben doch auch eine mit einfachen Mitteln errichtete Stiftung arbeitet.
Olaf Gierhake: Vermögensnachfolge und Vermögensschutz für deutsche Unternehmer mit deutschen, österreichischen und liechtensteinischen Stiftungen (= Schriften des Zentrums für liechtensteinisches Recht (ZLR) an der Universität Zürich 11). Nomos Verlag, Baden-Baden 2021. 346 Seiten, 86 Euro. 978-3-8487-7883-6.
Wohin gehen deutsche Unternehmer:innen, wenn sie die Nachfolge in der Firma vorbereiten und sich für den Übergang des Unternehmens in eine Stiftung entschieden haben? Sie gehen auf keinen Fall mehr in die Schweiz, das ist die erste und einfachste Erkenntnis der Untersuchung von Olaf Gierhake. Mit der Reform des Stiftungsrechts hat sich die Schweiz so gut wie vollständig von der Rechtsform der privatnützigen Stiftung verabschiedet. In Deutschland ist sie möglich und wird bei der Unternehmensnachfolge oft als Doppelstiftung im Verbund mit einer gemeinnützigen Stiftung eingerichtet. Österreich und Liechtenstein bieten hier leichtere Wege an. Dafür garantiert Deutschland als einziges Land von den möglichen drei im deutschsprachigen Raum einen Kapitalerhalt – soweit man darauf Wert legt. Schlüssige Übersichten und Tabellen schaffen Vergleichsmöglichkeiten vermeintlich unvergleichbarer Stiftungsformen, dem Autor gelingen so Vergleiche von Äpfeln mit Birnen, die bei der Lektüre nützlich sind. Er benennt innerhalb der drei Stiftungsjurisdiktionen „eine recht klare Rangfolge“ beim laufenden Besteuerungsniveau; im Besteuerungswettstreit zwischen Deutschland und Österreich scheint Liechtenstein zunächst der lachende Dritte zu sein. Nicht zu unterschätzen sei aber die bessere internationale Vernetzung von Österreich und Deutschland mit vielen weiteren Staaten durch Doppelbesteuerungsabkommen. So ein Netz hat Liechtenstein nicht zu bieten, das ansonsten nach der dortigen Stiftungsrechtsreform trotz Abwesenheit einer Aufsicht einen guten Ruf genießt. Olaf Gierhake ist einer der besten Kenner der Steuersysteme der drei Länder, und seine Übersicht erfrischt durch klare Benennung von Vor- und Nachteilen einer Entscheidung für einen der drei Staaten als Stiftungssitz. Kleine Formulierungsschwächen in der Einleitung (etwa „Persönlichkeiten“, wo von „Personen“ die Rede ist) wiegt die sachkundige Argumentation mehrfach auf.
Tobias Brönneke, Carsten Föhlisch, Klaus Tonner (Hg.): Das neue Schuldrecht. Digitale Produkte. Kaufrecht. Vertragsrecht (= NOMOS PRAXIS). Nomos Verlag, Baden-Baden 2022. 278 Seiten, 49 Euro. 978-3-8487-7067-0.
Ist die Stiftung erst einmal errichtet, bedarf es oft anderer, weiterer Literatur, zusätzlicher Handbücher zu Rechtsgebieten, die nicht unbedingt stiftungsspezifisch sind. Daher sei an dieser Stelle auf einen neuen Titel hingewiesen, der ausführlich die neuen Regelungen zum Schuldrecht benennt und kommentiert. Es ist die größte Veränderung im Schuldrecht seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002. Mit der Umsetzung von drei EU-Richtlinien hat sich die Digitalisierung ins BGB geschlichen. Die neuen Regelungen, die am 22.5.2022 in Kraft treten, beinhalten viele neue Aspekte zu digitalen Inhalten und Dienstleistungen. Wer diese anbietet, haftet für Produktmängel und unterliegt nun einer Update-Pflicht. Außerdem muss er sich mit einem neuen Mangelbegriff im Kaufrecht befassen. Für Miet- und Werkverträge reicht nicht mehr das Miet- bzw. Werkvertragsrecht aus; auch hier können die neuen §§ 327ff. BGB greifen. Was das alles im Einzelnen bedeutet, ist im jüngsten Band aus der Reihe „Nomos Praxis“ zum neuen Schuldrecht übersichtlich beschrieben.
Irène Zandel, Christian Schüle: Heimat Afrika. Hg. von Peter-Alexis-Albrecht und der Cajewitz-Stiftung (= Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung Band 9). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. 176 Seiten, 24 Euro. 978-3-8305-5099-0.
Die Neuerscheinungen zum Stiftungswesen stellen v. a. Titel vor, die sich thematisch um gemeinnützige Organisationen drehen. Wenn hier nun der neueste Band der Schriftenreihe der Cajewitz-Stiftung auftaucht, der den Titel Heimat Afrika trägt, mag man verwundert innehalten. Nicht, dass die vielen hundert Titel, die in Stiftungen oder durch deren Hilfe entstehen, keine besprechenswerten Inhalte hätten; vom Stiftungswesen erzählen sie nur in sehr seltenen Fällen. Und dennoch sei Heimat Afrika allen Stiftungsmanagern zur Lektüre empfohlen. Zumindest sollten das Buch alle einmal in der Hand gehalten haben. Denn der Band liefert nichts weniger als eine vorbildliche, transparente Dokumentation der einzelnen Schritte eines von der Stiftung finanzierten Projektes, noch dazu eines, dass sowohl Elemente operativer Projektarbeit aufweist als auch solche, die man als klassische Förderung Dritter bezeichnen kann. Und ganz stiftungsfern ist dann auch das Thema nicht. Es geht um Flüchtlingsströme in der Welt und unsere Handlungsmöglichkeiten. Expert:innen rechnen in diesem Jahrhundert mit 20 Millionen Menschen, die aus Afrika nach Europa kommen werden; ihre Zahl würde sich damit verdreifachen. Ein Text des Philosophen Christian Schüle befasst sich mit dem Phänomen der Beheimatung, und auch der zweite Teil des Buches hat mit Heimat und Identität zu tun. Hier erinnert sich die ukrainische Sprachwissenschaftlerin Luba Maier, wie sie viele Jahre lang in Kenia Hilfe zur Selbsthilfe leistete. Die Schweizer Fotografin Irène Zandel hat wunderbare Fotos gemacht, die Essay und Erinnerungen begleiten – oder von Essay und Erinnerungen begleitet werden. So viel zum nicht unpolitischen Projekt selbst. Solche guten, gelungenen Bücher findet man erfreulicherweise immer wieder unter den Neuerscheinungen. Besonders wird dieses Buch aber erst durch die Verbindung, die die Herausgeber zwischen Stiftung, Heimbewohnern und den handelnden Personen des Bandes herstellen. Die Dr. Walter und Margarete Cajewitz-Stiftung ist eigentlich ein Wohnprojekt kulturellen und sozialen Servicewohnens in Berlin-Pankow. Zu einer dortigen Veranstaltung war Luba Maier eingeladen. Als sie von ihrer Arbeit in Afrika erzählte, wo sie u. a. bei Wasserbohrungen half, sprang der Funken der Hilfsbereitschaft auf das Publikum über. Fortan sammelte die Stiftungswohngemeinschaft Geld, das Luba Maier auf Folgereisen nach Afrika brachte und dort zum Wohle der Bevölkerung einsetzte. Die Projektpartner passten aus einem einfachen Grund zueinander, auf den Stiftungsvorstand Peter-Alexis Albrecht im Vorwort hinweist: Flüchtlinge waren die Alten gleich mehrfach: Nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den Hungerwintern, die folgten, brachten auch die Jahre 1989/1990 für viele eine Fülle ungleich positiver und negativer Umwälzungen. „Flüchtlinge waren doch irgendwie immer da“, wunderte sich treffend ein Mensch vom Lande, Jahrgang 1938, über die punktuell ablehnende Haltung, „2015 darf sich nicht wiederholen“. Auch die Bewohner:innen der Cajewitz-Stiftung solidarisierten sich und konnten für manche in ihrer Heimat Afrika neue Perspektiven zum Bleiben schaffen – ohne dass dies oberstes Ziel gewesen wäre. Glanzstück des ohnehin brillanten Vorwortes ist die Erklärung, warum nicht nur ein Buch mit Essay, Erinnerungen und Fotos erschienen ist, sondern das Projekt inklusive seiner vielen Unterstützer erst am Anfang steht. Dem Abschnitt mit der Zwischenüberschrift „Breite öffentliche Vermittlung des Richtigen“ ist nichts hinzuzufügen, daher sei er hier vollständig mit Leseempfehlung für das ganze Buch zitiert: „Die Zivilgesellschaft kann die Nöte der Welt nicht beseitigen. Sie ist selbst in großer Not. Aber eine gemeinnützige Stiftung, deren Satzungszweck generationsübergreifende Kommunikation über Einsichten aus gewonnenen Erlebnissen und Erfahrungen des Alterns und Alters ist, hat die Pflicht, als richtig erkannte Wege bekannt und öffentlich zu machen. Dieser neunte Band in der Schriftenreihe […] setzt jene Pflicht in gemeinnütziger Intention um.“
Stefan Knauß, Louis Wolfradt, Tim Hofmann, Jens Eberhard (Hg.): Auf den Spuren von Anton Wilhelm Amo. Philosophie und der Ruf nach Interkulturalität (= Edition Moderne Postmoderne). Transcript Verlag, Bielefeld 2021. 266 Seiten, 60 Euro. 978-3-8376-5654-1.
Anton Wilhelm Amo (1703 – 1759) scheint wiederauferstanden. Der Vertreter der Frühaufklärung ist mit seiner Philosophie und seinen Gedanken zur universellen Vervollkommnung des Menschengeschlechts näher an stiftungsphilosophischen Grundlagen, als der erste Eindruck glauben lässt. Ein neuer Sammelband beleuchtet unterschiedliche Aspekte aus Amos Leben und Werk. Der im damals unter Europäern als „Goldküste“ bekannten Teil Westafrikas, heute Ghana, geborene Amo kam im Alter von sieben Jahren an den Wolfenbütteler Hof und diente die ersten Jahre als Lakai in de facto Leibeigenschaft (de iure gab es bei den Braunschweigischen Herzögen keine Sklaverei). Die übrigen Aspekte aus Leben und Werk seien der Buchlektüre vorbehalten, nur zwei der Gedanken, die auch stiftungsphilosophisch interessant sind, seien hier angeführt. Zum einen dringt Amo nicht nur in seinen sprachphilosophischen Texten darauf, auch eine der Muttersprache völlig wesensfremde Sprache zu erlernen, um aus dem Gedanken- und Argumentationsgebäude, in das man durch die eigene Sozialisation gesperrt ist, ausbrechen zu können. Ein solcher Ausbruch aus dem jeweils eigenen Gedankengebäude mit welcher Methode auch immer, könnte bei den ewigen Debatten um unterschiedliche Auffassungen gemeinnütziger Tätigkeit, um vom eigenen Modell abweichende Voraussetzungen für Steuervergünstigungen, um verschiedene Definitionen von „Stiftung“ manchmal durchaus hilfreich sein. Bis heute verhindert ein Mangel an Harmonisierungsbestrebungen die Stiftungszusammenarbeit über die Grenzen hinweg. Zum anderen spricht aus Amos Werk ein aus negativen Erfahrungen entwickeltes Modell der Toleranz, und ein Glaube an die Kraft des Guten, die auch zahlreiche Stiftungen beschwören. Ein lesenswertes Buch für jeden im Stiftungswesen Engagierten. Und noch ein Versprechen: Wer den Sammelband gelesen hat, wird Kant und Hegel künftig mit anderen Augen betrachten.