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Vorsicht, Stiftung? Vorsicht, Porzellankiste!

von broemmling am 21. Dezember 2015

Die Kritik am Stiftungswesen ist in Deutschland nicht sehr ausgeprägt. Das kann vier Ursachen haben: 1. Es gibt am Stiftungswesen nichts oder nicht viel zu kritisieren. 2. Was zu kritisieren wäre, ist entweder zu komplex oder zu speziell oder zu uninteressant, als dass sich jemand die Mühe machte zu recherchieren, nachzufragen, zu formulieren, oder vermeintlich zu uninteressant, als dass ein Redakteur das vorschlagen und ein Chef vom Dienst das ins Blatt nehmen würde. 3. Schwarze Schafe gibt es überall; Kritik am Gebaren einzelner Stiftungen würde die ganze Stiftungswelt ins ungünstige Licht setzen. 4. Nichts genaues weiß man nicht. Vorab sei die Auflösung verraten: Nur Ursache 1 trifft nicht zu. Die anderen drei Ursachen stellen im Verbund schon eine so große Hürde dar, dass nur selten ernst zu nehmende kritische Beiträge erscheinen. Damit fallen schon einmal alle „Advertorials“ raus, die die ZEIT Stiftungen gegen Unterstützung schreiben lässt (die Stiftungsverantwortlichen haben dann das Gefühl, sie hätten auch schon einmal in der ZEIT geschrieben, und in Wirklichkeit ist das nur durch Stiftungsgelder finanziert, und die doch sehr schlichten Einlassungen, die ohne wirkliche Recherche mit altem Wissen arbeiten, auf einen dieser Artikel, gefunden in der Online-Ausgabe der FASZ, verweise ich in meinem Blogeintrag vom 25. September 2015 … Darüber wollte ich hier gar nicht schreiben, aber schon ist man mitten in der kritischen Betrachtung. aber weiter im Text). Christian Füllers Beitrag im Freitag ist da anderer Art, ein kluger, sorgfältig recherchierter Text. Der Autor verzweifelt daran, dass auch die Kritiker selten mit Namen genannt werden wollen, dass selten Experten willens sind, für einzelnes Gebaren oder einzelne Missbrauchsfälle von Stiftungen Ross und Reiter zu nennen. Dies vor allem aus Ursache 3. Aber Füllers Gedanken sind absolut lesenswert, gleich, ob man ihm im Wesentlichen zustimmt oder ob man sie für herbeigeredet hält. Ich gehöre zur ersten Gruppe; allerdings stimme ich eben nur im Wesentlichen zu, muss aber an drei Stellen, einmal entschieden, widersprechen; zweimal verlässt sich der Autor dabei auf Zitate von Stiftungsmitarbeitern: 1. Es entsteht der Eindruck, wenn ein Stiftungsgewinn auch dem verbundenen Unternehmen nutzt, sei die Gesellschaft übers Ohr gehauen worden. Nein, man sollte nicht erwarten, dass die Stiftung dem Stifter schadet. Das Gemeinnützigkeitsrecht sieht das jedenfalls nicht vor. Die gestifteten Mittel gehören in der Tat nicht mehr dem Stifter, sondern dem Stiftungszweck. Aber wo die Pervertierung der Stiftungsidee liegen soll, wenn die gestifteten Mittel nicht auch das Ansehen des Stifters mehren dürfen, erschließt sich mir nicht. Dann wären alle Stiftungen pervers. Das kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil. 2. Ich bin in gewisser Weise ein Flüchtling. Ein Berliner Republikflüchtling. Meine Anwesenheit an Vortragsabenden, Empfängen und anderen Events hat sich auf vielleicht fünf Gelegenheiten jährlich reduziert, ich fühle mich da nicht angesprochen. Aber den übrigen Menschen, der „Stiftungsschickeria“, vorzuwerfen, sie netzwerkten bei Hummer und Champagner, während kluge Vorträge über Bildungsarmut gehalten würden, ist ungefähr so zielführend wie die immer noch weit verbreitete Ansicht unter Stiftungsgeschäftsführern, man müsse nur belegte Brötchen und Getränke anbieten, dann kämen mehr Journalisten zur Pressekonferenz. Richtig schief wird der Artikel aber dort, wo der Autor das gute Stiftungswesen der USA gegen das schlechte hierzulande ausspielt. Dass die Stiftungen jenseits des Atlantik jedes Jahr fünf Prozent des Vermögens ausgeben müssen, deutsche Stiftungen aber nur aus den Erträgen arbeiten könnten, ist kein Qualitätsmerkmal. Wir können ja mal südamerikanische Demokratien oder wahlweise asiatische Gesellschaften fragen, ob sie froh darüber waren, dass US-amerikanische Stiftungen jährlich fünf Prozent ihres Vermögens ausschütten mussten. Oder vorher Arundhati Roys dreiteiligen Aufsatz in den Blättern für deutsche und internationale Politik lesen (7/2012 bis 9/2012, vor allem „Der Imperialismus der Wohltäter“ in der Nummer 8/2012). Oder um nicht aufs Gestern, sondern aufs Heute zu schauen, empfehle ich Kathrin Hartmanns neues Buch Aus kontrolliertem Raubbau, in dem der Leser Aufschlussreiches über die Gates-Stiftung erfährt. Mir persönlich sind die Projekte der Stiftungen in Deutschland im Vergleich dazu ausgesprochen sympathisch. Aber kritikbedürftig sind sie natürlich dennoch. Insofern ein Dank an Christian Füller für einen seltenen wichtigen Diskussionsbeitrag zum Stiftungsdiskurs.

Von → Allgemein