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Rezension Adel und Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit

von broemmling am 21. Juli 2021

Helmut Glück | Mark Häberlein | Andreas Flurschütz da Cruz (Hg.): Adel und Mehrsprachigkeit in der Frühen Neuzeit. Ziele, Formen und Praktiken des Erwerbs und Gebrauchs von Fremdsprachen (= Wolfenbütteler Forschungen Band 155). Harrassowitz Verlag in Kommission, Wiesbaden 2019. 259 Seiten, 58 EUR.

Es mag eines der putzigsten Bilder sein, die je für einen Band der langen Reihe der Wolfenbütteler Forschungen ausgewählt wurden: Wir sehen eine Treppe mit unzähligen Stufen (erst weil es heute ans Bilderklären geht, habe ich sie nachgezählt, es sind 15). Unten steht ein Männlein – da oben am Ende der Stufen ein Thron steht, handelt es sich wohl um einen Prinzen. Jede Stufe auf dem langen Weg hin zur Macht ist mit einem Studienfach, mit Tugenden und Fertigkeiten bezeichnet. In lateinischer Sprache beginnt es mit den Humanwissenschaften oder besser gesagt, mit der Gesamtheit des humanistischen Bildungsprogramms, zu dem ursprünglich Grammatik, Rhetorik, Poesie, Moralphilosophie und antike Geschichte gerechnet wurden. Aber wir halten uns auf, wir wollten nur kurz ein Bild erklären: Eine Stufe von 15 war das, jedes Fach, Theologie folgt gleich als nächstes, hat doch nur eine kleine anteilige Bedeutung auf dem Bildungsweg, den der Prinz durchschreiten muss oder sollte, bis er reif zum Regieren war. Kontinuierlich auf diesem Weg sind nur zwei Dinge, denn sie säumen begrifflich wie bildlich links und rechts die gesamten Bildungstreppe: Rechts geht es um Leibesübungen. Das verwundert nicht. Rudern oder Radfahren einmal oder fünfmal die Woche ist bis heute jeder gewohnt. Aber auf der linken Seite gesellt sich als Dauerbrenner (im Plural) Auslandsaufenthalt und Auslandsreise hinzu. Wie wertvoll Erfahrungen im Ausland sind, sieht man in dieser Deutlichkeit selten irgendwo gezeigt. Das Studium exotischer Sprachen ist dann noch einmal eine gesonderte Stufe auf dem Weg zur Erkenntnis – und Erkenntnis sei hier mal als allgemeingültiges Bildungsziel gewählt, denn das Buch mit seinem Titelbild soll uns schließlich auch noch etwas sagen.

Die Aufsätze des vorgestellten Bandes konzentrieren sich auf den Fremdsprachenerwerb des Adels im 16. und 17. Jahrhundert. Die Herren reisten und waren erst nach ihrer Grand Tour ernst genommene Mitglieder ihres Standes, die Damen durften zuhause bleiben und im wahrsten Wortsinn Hausaufgaben machen. Nein, das ist genauso wenig schwarz-weiß gültig wie alles im Leben, das auch damals schon bunt war. Wie umworben erfolgreiche Schüler bei Hofe waren, erzählt Nils Jörn in seinem Aufsatz über die Hoffnungen der schwedischen Krone auf einen polyglotten Assessor – hier erhalten wir einen Einblick in die Probleme des Alltags monarchischen Regierens. Interessant bei vielen Aufsätzen, welche Aufgaben und welches Ansehen den einzelnen Sprachen an den unterschiedlichen Höfen zukam. Dass im kroatischen Adel, der oft neben Kroatisch auch Ungarisch sprach, Latein für den nationalen Schriftverkehr nutzten, aber erst dann als zivilisiert galten, wenn sie auch Deutsch konnten, zeigen Ivana Horbec und Maja Matasović. Als Amtssprache hatte das Deutsche nur eine sehr kurze Karriere bis 1790; Latein hielt sich bis 1847 als Amtssprache, bevor Kroatisch übernahm. Latein wurde sogar als Waffe im Widerstand gegen die deutsche Sprache (und damit die habsburgerischen Einflüsse) genutzt. Die Funktion der Sprache als Waffe kommt auch bei den Fremdsprachenkenntnissen in deutschbaltischen Adelsfamilien zum Vorschein. Ineta Balode zitiert aus einem Brief von Balthasar Freiherr von Campenhausen 1787 über das Französische: Ein junger Edelmann, der diese Sprache nicht mit Geläufigkeit als seine Muttersprache spricht, wird bei erwachsenen Jahren lächerlich, es sey auch in Rußl. oder Teutschland. Das schönste Zitat aus dem, Buch aber entstammt dem Aufsatz von Barbara Katz über sprachenkundige Frauen im Adel der Frühen Neuzeit. Georg Christian Lehms beschreibt dort die Fremdsprachenkenntnisse von Margarethe Sybilla Löser, geb. von Einsiedel (1642-1690): Gut Hebräisch, nett Grichisch, schön Latein und galant Italiänisch. Das schaffte in der heutigen Zeit gerade mal meine Klassenkameradin Claudia Wulff. Und die ist vor fünf Wochen, am 12. Juni 2020, verstorben. Der Sammelband bietet mannigfachen Aufschluss, hier erweitert jeder Beitrag das Wissen der Leserschaft, was man nun wirklich nicht von jedem Aufsatzband erwartet, der Folge einer Konferenz ist – wer ehrlich ist, erwartet das eher selten. Aber hier passt es, selbst die Gliederung scheint einer gewissen Dramaturgie zu folgen: Der Band schließt mit Helga Meises Beitrag über Fremdsprachen im Spiegel von Fürstenbibliotheken im 18. Jahrhundert.

Von → Allgemein, Rezension