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In memoriam: Hans Küng

von broemmling am 7. April 2021

Am 6. April 2021, Dienstag nach Ostern, ist Hans Küng gestorben. Am 6. November 2010 hatte ich im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung sein Buch Anständig wirtschaften unter dem Titel Geschäfte ohne Moral besprochen (einer der wenigen Fälle, in denen der Redakteur meinen Vorschlag für die Überschrift nicht akzeptierte; ich hatte Ökonom sein vorgeschlagen – in Anlehnung an Küngs Buch Christ sein). Zwei Wochen später war Post von Hans Küng in meinem Berliner Briefkasten. Der Autor hatte eines seiner Bücher geschickt – mit freundlichster Widmung: Für Ulrich Brömmling mit herzlichem Dank für seine sehr hilfreiche Besprechung. 16.11.2010. Hans Küng.

Die Besprechung ist mit vielen anderen meiner Rezensionen in der SZ abgedruckt in Das Wirtschaftsbuch. Annäherungen an die Ökonomie in der Süddeutschen Zeitung. Siegburg 2013.

Vor dem Text der Rezension noch ein Gedanke. Hans-Jochen Vogel + 26. Juli 2020, Winfrid Frhr. v. Pölnitz von und zu Egloffstein + 19. März 2021, Hans Küng + 6. April 2021: In Jahresfrist sind drei Persönlichkeiten gestorben, zu denen ich so ziemlich ohne Einschränkungen aufgeblickt habe. Während sich die Erde erwärmt, kühlt die Menschheit immer weiter ab.

Hans Küng: Anständig wirtschaften. Warum Ökonomie Moral braucht. Piper Verlag, München 2010, 342 Seiten. 19,95 Euro.

Wir kennen Hans Küng als großen Theologen. „Christ sein“ heißt sein bedeutendstes Werk. Wir kennen Hans Küng als großen Ethiker. Die Stiftung Weltethos geht auf seine Initiative zurück. Nun lernen wir Hans Küng als großen Ökonomen kennen, der eine neue, ethisch fundierte Weltordnungspolitik entwirft.

Küng breitet das gesamte Spektrum der Volkswirtschaftslehre aus und dringt von dort bin in die Mikroökonomie vor. Wo der Theologe spricht, kann Milton Friedmans freche These, die moralische Pflicht des Unternehmers reduziere sich auf die Profitsteigerung, nicht gelten. Doch auch über die anderen Wirtschaftsphilosophen weist Küng hinaus.

Individuelle, sittliche Autonomie, wie sie Friedrich von Hayek propagierte, genügt nicht. Ebenso wenig taugt für Küngs neues Wirtschaftsethos John Maynard Keynes, der den Kapitalismus als Religion verachtete, als Glauben, dass die widerwärtigsten Männer aufgrund der widerwärtigsten Motive irgendwie für den Nutzen aller arbeiteten.

Das Manifest „Globales Wirtschaftsethos – Konsequenzen für die Weltwirtschaft“ hat Küng gemeinsam mit dem Wirtschaftsethiker Josef Wieland und dem ökosozialen Unternehmer Klaus Leisinger verfasst und bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres veröffentlicht. Der ehemalige Präsident der Weltbank James D. Wolfensohn gehört zu den 21 Erstunterzeichnern, ebenso Prinz El Hassan bin Talal von Jordanien und der Theologe Leonardo Boff. Küng weiß den UN Global Compact hinter sich, der sich in gleicher Weise wie das Manifest für Menschenrechte, Arbeitsstandards, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung einsetzt.

Wer handelt im ökonomischen Alltag im Sinne einer ethischen Weltordnung? Küng beruhigt den Leser: Es sind mehr, als man annimmt. Und es ist kein Zufall, dass er als Musterbeispiel verantwortungsvollen Wirtschaftens Karl Konrad Graf von der Groeben anführt. Der half nicht nur Küngs Stiftung Weltethos auf den Weg, sondern unterstützte auch andere Stiftungsprojekte. Für den Grafen beschränkte sich Wirtschaften eben nicht auf Profitmaximierung: Er trug Gandhis „Sieben Todsünden in der heutigen Welt“ stets bei sich. Hierzu zählt neben „Reichtum ohne Arbeit“ und „Genuss ohne Gewissen“ auch die häufigste Sünde der Ökonomie: „Geschäft ohne Moral“.

Küng ist nicht Prediger der Sanftmut: Härte gehört zum Geschäft, Führungsstärke allemal. Aber es sind Geist, Herz und Haltung, die heute so wichtig geworden sind. Das gelingt nicht mit Hilfe von Unternehmensberatern – Küng zitiert die Klage von der egoistischen Karrieremanie der Machiavelli-Kurse für Manager. Küng fordert ein globales „Menschheitsethos“ für die Wirtschaft, das die Einigung auf kulturübergreifende Normen braucht. Er beschränkt die Gebote und Werte auf vier Imperative der Menschlichkeit, die auch in der Wirtschaft gelten müssen: nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen und Sexualität nicht missbrauchen.

Auch Letzteres ist durchaus ein Gebot der Wirtschaft, denn es geht auch um Entwürdigung, Erniedrigung und Schändung, und Küng leitet über zu den weltethischen Kernnormen Humanität und Gegenseitigkeit. Das Manifest für ein globales Wirtschaftsethos wird deshalb erfolgreich sein – da ist sich Küng sicher – weil es auf uralten Erfahrungen der Menschen fußt. Eine Handlungsempfehlung für Führungskräfte, aber auch für jeden Einzelnen im Team ist entstanden. So dicht geschrieben, wie es irgend ging. Küng ist mit seiner Mahnung ein Werk gelungen, das ähnliche Bedeutung erlangen könnte wie „Christ sein“ – wenn es nicht, was zu befürchten ist, in der Fülle der Literatur sehr unterschiedlichen Niveaus zu Wirtschaftskrise, Führung und Moral untergeht.