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Armer Edvard Munch! Rezension im NordeuropaForum

von broemmling am 5. Oktober 2020

Der derzeit wohl erfolgreichste Dichter eines Landes schreibt ein Buch über seines Landes erfolgreichsten Maler aller Zeiten und kuratiert eine Werkschau besonderer Art. In Norwegen war diese Projektidee zum Erfolg verdammt, ein Selbstläufer. So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche. Der Buchtitel enthielt das Programm zur Ausstellung im Osloer Munch-Museum vom 6. Mai bis 8. Oktober 2017, die dann nur noch Zum Walde – Knausgård über Munch hieß. Einen Katalog verdanken wir der zweiten, deutschen Station. Edvard Munch, gesehen von Karl Ove Knausgård reichte als Titel der Ausstellung im K20 der Kunstsammlung NRW, die vom 12. Oktober 2019 bis zum 1. März 2020 120.000 Besucher anzog. Knausgårds Munch-Buch erschien in der Übersetzung von Paul Berf zur Eröffnung. Und weil das Buch viel mehr zu sein schien als die Ausstellung zeigen konnte, aber viel weniger war, als es versprach, muss die Kritik sich mit beidem befassen.

Eine so große Ausstellung von Munch-Bildern hatte es im Ausland lange nicht gegeben. Zwei Umstände hätten jeder für sich genommen Gelegenheit geboten, 133 Munch-Originale aus Norwegen nach Deutschland zu schicken: 2019 stand Norwegen im Zentrum dreier Großevents: bei der Berlinale als Fokusland des European Film Market EFM, als besonderer Gast beim Bremer Jazzahead Festival, schließlich als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Die Möglichkeit einer Munch-Ausstellung kam als Krönung gerade recht.

Eine Munch-Ausstellung ist die größte Freundschaftsgeste, die das Königreich einem Land machen kann. Doch galt das Munch-Museum in Oslo nicht als zurückhaltend bei der Ausleihe ins Ausland? Weckte man keine Begehrlichkeiten? Dass etwa Frankreich, wo Munch andere Impulse für sein Werk erhielt, gleiche Freundschaftsgesten erwartete? Gleichviel: Wenn je das Bild vom window of opportunity treffend war, dann hier. Denn das Munch-Museum zieht vom alten Standort in Oslo-Tøyen in den immer noch neuen Stadtteil Bjørvika. Ursprünglich für Frühling geplant, eröffnet das neue Haus nun im Herbst 2020.

Die Düsseldorfer Ausstellung passte genau in das alte Zeitfenster. Das hätte jede anders kuratierte Auswahl aus dem reichen Museumsfundus getan. Aber Knausgård hatte auch in Deutschland Verehrer gefunden, und so gab es die Bilder mit ihm als Kurator und Autor eines Begleitbuches quasi als Gesamtpaket. Das Angebot, aus dem Museumsschatz eine eigene Ausstellung zu heben, hatte Knausgård bereits 2017 im Munch-Museum wahrgenommen. Und genau diese Ausstellung kam zwei Jahre später nach Düsseldorf.

In vier Themen unterteilte Knausgård seine Auswahl: Licht und Landschaft, Der Wald, Chaos und Kraft und Die Anderen. Die Katalogtexte zu diesen Themen bieten eine lesbare Zusammenfassung all dessen, was Knausgård in seinem Munch-Buch in epischer Breite erzählt, wo er nicht gerade über sein eigenes Leben Rechenschaft ablegt.

Mit der Sonne aus dem Lebensfries fängt alles an, Ausstellung wie erstes Thema wie Katalog. Kein Bild wirkt stärker. Daher nimmt es auch anderswo einen prominenten Platz ein, etwa als Titelbild für das letzte Kapitel Anerkennung in der Heimat des Munch-Buches von Arne Eggum 1995. Maler an der Hausfassade von 1942 ebenfalls bei Licht und Landschaft zu sehen, ist eine wirkliche Neuentdeckung. Der Wald im zweiten Raum bringt Landschaftsbilder im Lauf der Jahreszeiten. Bei den Erläuterungen zum Frühling im Ulmenwald findet man Knausgårds Munch-Verständnis auf den Punkt gebracht: Munchs Methode hatte darin bestanden, sich selbst zu benutzen, nicht indem er malte, was er sah, sondern indem er zu visualisieren versuchte, was er empfand, wenn er sah […]. (S. 39).

Die Bilder, die für Chaos und Kraft stehen sollen, geben einen Einblick in Munchs Arbeit an den Bildern und sein plötzliches Stocken dabei. Wundert man sich bei Max Liebermann noch über fehlende Stuhlbeine, bricht Munch ein Bild oft in einem Stadium ab, in dem es für viele unvollendet scheint, seine Kernaussage aber schon erreicht haben mag. Hier ahnt man, wie gut es war, dass Munch Maler und nicht Bildhauer geworden und geblieben ist: Munchs Skulptur Weinendes Mädchen von 1914 überzeugt nicht jeden. Doch sie ist ein Beispiel dafür, wie Munch seine Themen nicht nur über die Jahrzehnte bewahrte, um nach und nach das treffende Gefühl darzustellen. Er blieb auch bei der Wahl unterschiedlicher Kunstarten denselben Themen verhaftet. Hier ist ein seltenes Beispiel aus Malerei und Bildhauerei zu sehen, das weinende Mädchen in Gemäldeform fehlt. Chaos und Kraft äußert sich für den Kurator auch in ausgewählten Grafiken – in den anderen Räumen hängt ausschließlich Öl. Eine der Grafiken, Zum Walde, reizte Knausgård in seinem Buch zur Bemerkung Så mye lengsel på så liten flate: So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche. Das schien ihm auf Munch insgesamt zu passen. Blieb der vierte Raum, das vierte Kapitel, in das neben Den Anderen auf großen Ganzkörperporträts und kleineren Gemälden zwei von Munchs Selbstporträts Eingang gefunden haben.

Wenn auf dieser Welt ein Museumsbesucher zuerst nah an die Erläuterung eines Kunstwerkes tritt, um sich zu informieren, was er da gleich sehen wird, ist es vermutlich ein Deutscher. Den unbefangenen Blick wagen wir selten. Selbst in Galerien gehen wir von Schild zu Schild, um zu verstehen, und lassen davon nicht ab, auch wenn wir zum zehnten Mal o. T. gelesen haben. Nur ein Prominenter aus dem Ausland konnte gegen die Übermacht der Etiketten und Schilder etwas tun, und es ist Knausgårds großes Verdienst, dass die Besucher im K20 vor allem das Kunstwerk selbst wahrnahmen. Neben den Bildern stand bis auf eine Nummer nichts, und in dem kostenlos erhältlichen Begleitheftchen fanden sich nur Angaben zu Titel, Format, Material. Dass dies ungewohnt für die Besucher war, merkte man an der Häufigkeit auch der vom Wachpersonal mündlich erteilten Hinweise, die das Begleitheftchen wiederholten: Auf Wunsch von Karl Ove Knausgård haben wir auf erläuternde Hinweise verzichtet. Wenn das die Voraussetzung ist, mögen bald nur noch Prominente aus dem Ausland Ausstellungen in Deutschland kuratieren.

Etwas ärgerlich dagegen: Als neu wird verkauft, was in Wahrheit schon einmal Gegenstand von Ausstellungen war, und da dies in Deutschland der Fall war, ist es durch Kataloge hinreichend belegt. Vom 2. Oktober 2004 bis zum 16. Januar 2005 hatte die Kunsthalle Emden 63 Ölgemälde Munchs, ebenfalls aus dem Munch-Museum, erweitert um ein Gemälde aus der Rasmus Meyers S

ammlung in Bergen, unter dem Titel Edvard Munch – Bilder aus Norwegen als Sonderausstellung präsentiert. Das Besondere an der Auswahl der Werke für die von Achim Sommer und Niels Ohlsen kuratierte Ausstellung: Erstmals sah man in Deutschland eine so große Zahl von Bildern aus der zweiten Lebenshälfte Munchs. Etwas Neues bringt die Ausstellung also auch von der Motivwahl her nicht. Das Im Wald gezeigte Gemälde Heutrocknen (Düsseldorf-

Kat. S. 67) etwa war bereits in Emden als Heureiter (Emden-Kat. S. 49) mit dabei. Statt Pferdegespann beim Pflügen (1919/20) (Düsseldorf-Kat. S. 66) wurde in Emden Mann mit weißem Pferd in einer Sommernacht II (1919/20, Emden-Kat. S. 45) gezeigt. Das Werk Der Heuer (Düsseldorf-Kat. S. 67) stellt den Kunstsinnigen vor ein Rätsel. Es stammt laut Katalog aus dem Jahr 1917. Ein identisches Gemälde war als Der Schnitter I, datiert auf das Jahr 1916, in Emden zu sehen (Emden-Kat. S. 47). Und identisch bezeichnet hier im wahrsten Wortsinne das gleiche Bild. Bei aller ikonischen Gleichheit vieler seiner Gemälde: Es dürfte dasselbe Bild sein. Einen einzigen Unterschied entdeckt der Betrachter: Die Druckqualität des Schnitters im 2004 bei Hatje Cantz erschienenen Katalog ist deutlich höher als die des Heuers. Selbst den Kohlacker, mit dem Knausgård seine Munch-Betrachtung eröffnet (So viel Sehnsucht, S. 7ff.) erkennt der Besucher der Düsseldorfer Ausstellung als das Kohlfeld wieder, das er schon in Emden sah. Es ist mit ziemlicher Sicherheit dasselbe Bild, nur dass man auch hier mit zwei Jahreszahlen arbeitet. Ist es für Knausgård aus dem Jahr 1915, gibt der Emder Katalog 1916 an. Der Apfelbaum im Garten 1932–42 ist genauso da (Katalog Düsseldorf, S. 35, Katalog Emden, S. 30) wie Frühling im Ulmenwald (Version II 1923–25, Katalog Düsseldorf, S. 38, Version I 1920–23, Katalog Emden, S. 61), das Gemälde also, das Knausgård als Titelbild für seine Ausführungen im Themenbereich Der Wald dient (S. 39f.). Noch viele Entsprechungen und Wiederholungen ließen sich nennen – und damit auch Versäumnisse. Eifersucht im Garten (Katalog Emden S. 36) verbindet auf bemerkenswerte Weise die unterschiedlichen Schaffensphasen, Stile und Stimmungen von Munchs Gesamtwerk. In Düsseldorf sucht man es vergebens.

Licht und Landschaft erzählt nichts wirklich Neues, Im Wald auch nicht. Das heißt nicht, dass Knausgårds Einteilung keinen Sinn ergebe. Sie ist nur ebenso subjektiv gewählt wie Einteilungen anderer Munch-Betrachter mit gleicher – subjektiver – Plausibilität. Eine ähnlich gute Darstellung von Munchs Schaffensprozess bot vor über 20 Jahren die Ausstellung Munch und Warnemünde, die vom Munch-Museum in Oslo über die Kunsthalle Rostock ins Atheneum nach Helsinki wanderte. Hier wurden übrigens gleich drei Grafik-Versionen von Weinendes Mädchen gezeigt, aus dem Bestand des Munch-Museums; wo sind sie bei Knausgård? Vielen der ausgewählten Motivzyklen und Themen für Chaos und Kraft hatte sich bereits ein Teil der Munch-Ausstellung in der Galerie der Stadt Stuttgart 1993 gewidmet: Die Hochzeit des Bohemien, Osloboheme, Der Menschenberg, Im Garten.

Was Knausgård dazu antreibt zu glauben, dass seine Auswahl eine ganz besondere sei, weiß, wer sein autobiografisches Werk in sechs Bänden kennt, das im Norwegischen unter dem Titel Min kamp erschienen ist und in der deutschen Übersetzung mit sechs Tätigkeitswörtern betitelt werden musste. Mein Kampf als Titel der Übersetzung lehnten alle Beteiligten aus naheliegendem Grund ab. Die Bände heißen Sterben, Lieben, Spielen, Leben, Träumen, Kämpfen. Einen Titel für Knausgårds Munch-Buch kann sich jeder selbst ausdenken. Der Autor erzählt von sich, von Freundschaften zu Künstlern, von sich und Munch.

Wie man den Eindruck erhalten kann, Knausgård hielte sich in seinem Munch-Buch sehr zurück mit Beschreibungen aus dem eigenen Leben, wie es der Tagesspiegel schreibt, ist rätselhaft. Die Selbstreferenzialität kennt keine Grenzen. Mitunter ist man sich nicht mehr sicher, ob der Autor bei den vielen Vergleichen, die er zwischen seinem Leben und dem des Malers vornimmt, nicht doch glaubt, es sei der Überlegene – oder er sei es selbst. Wer schon dieselben Schwierigkeiten im Umgang mit Frauen hat: Lese ich hier irgendetwas hinein, was ich über Munch weiß, sinniert der Autor über Angst im Bild, seine Angst vor Intimität und seine Furcht davor, sich mit Frauen einzulassen, und übernehme es einfach, was mir nicht sonderlich schwerfällt, weil Angst vor Intimität und Furcht vor Frauen mir vertraute Phänomene sind? Das hat vermutlich jeder zweite Mann mit Munch gemein, aber im Buch deutet es auf eine ganz besondere Verbundenheit der beiden Künstler. Dass sich Knausgård anschickt, Munch als Künstler für die Nachwelt zu retten, liest man an vielen Stellen zwischen den Zeilen, manchmal aber auch in aller Deutlichkeit. Vielleicht zehn, fünfzehn Gemälde aus einer Produktion von über eintausendsiebenhundert Bildern seien es, die uns allen im Bewusstsein geblieben seien. Da übertreibt der Autor mächtig: Denn Schrei, Madonna, Eifersucht, Das kranke Kind und die anderen gibt es ja nicht nur als jeweils ein Gemälde. Alle sind mehrfach ausgeführt, aber vielleicht hätte sich die Zahl 100 zu 1.700 nicht mehr ganz so dramatisch verhalten wie gewünscht.

Knausgård hat sich bei der Recherche auf Munchs Lebensspuren begeben und war unter anderem auf dem Hof, auf dem Munch geboren und die ersten Jahre aufgewachsen ist. Vor allem aber wandert er auf seinen eigenen Lebensspuren. Ich denke an meine jüngste Tochter, während ich das schreibe, sie ist drei Jahre alt, lesen wir dort neben vielen weiteren Informationen zu Themen, von denen wir bis dahin nichts wussten. Keine Sorge, Knausgård führt seine Leserschaft zurück zu sich. Wenn man den zitierten Ausführungen des französischen Philosophen Gilles Deleuze über Francis Bacon folgt, dauert es nicht lange, und der Autor erzählt, wie das eigentlich bei ihm war, als er von einem radikalen Bokmål zu einer konservativeren Variante wechselte, und noch auf derselben Seite sind wir mitten im Werk: Das Ergebnis war mein erster Roman. (S. 108).

Natürlich helfen auch seine Besuche bei Künstlerkollegen dem Verständnis von Kunst. Der Tag im Atelier bei Anselm Kiefer hat Substanz, auch das Gespräch mit dem britischen Fotografen Stephen Gill ist aufschlussreich. Wenn Knausgård von seinen Aufenthalten im Depot, dem Allerheiligsten des Munch-Museums erzählt, hat das ohne Zweifel seinen Platz. Das Buch ist am stärksten dort, wo Knausgård andere zu Wort kommen lässt. Die Literatur ermöglichte ihm einen Zugang zur Kunst, von der er doch selbst sagt, dass sie es nicht vermöge. Es ist eine ganze Bibliothek, aus der der Autor oft Absätze zitiert. Die Munch-Biografie von Stian Grøgaard öffnete ihm die Augen auch über das Porträt als solches und erzählte ihm etwas von Bewertung von Kunst aufgrund ihrer Qualität in der Ausführung. Das mit der Bewertung muss Knausgård allerdings insofern falsch verstanden haben, als er das ganze Buch über zu beurteilen vermag, was gute Kunst, was bessere Kunst ist. Auch auf Poul Erik Tøjners Biografie verweist Knausgård mehrfach, und von vielen weiteren Werken nimmt Gilles Deleuzes Text über Francis Bacon besonderen Raum ein. Dem Kunsthistoriker Ulrich Bischoff widerspricht er, nachdem er ihn ausführlich zitiert hat. Aus allem kristallisiert sich die Erkenntnis, dass es Munch um eine ikonische Darstellung, nicht um eine realistische Wiedergabe ging. Daher konnte er an einem Motiv immer von Neuem und immer weiterarbeiten.

Knausgård bleibt aber bei alledem der Vorstellung verhaftet, dass die Wahrheit unveränderlich und Kern der Kunst sei. Ob das Munch so gesehen hat, muss dennoch offen bleiben, so sehr der Dichter seine Gemeinsamkeiten mit dem Maler auch betont. Das hieße Platons Ideenlehre zu unterstützen, ohne das Höhlengleichnis verstanden zu haben. Um Wahrheit also geht es. An anderer Stelle um Würde. Und dadurch auch um Hoffnung (S. 55).

Mit Grøgaard führt Knausgård noch ein Interview für das Buch, dessen Wortlaut noch in den Text eingebunden ist. In einem späteren Interview sind dann nur noch Frage und Antwort wiedergegeben. Filmemacher Joachim Trier berichtet über einen geplanten Munch-Film, bei dem er Regie führen würde, und seine Einschätzung zu Munch. Ihm sei es ein bisschen peinlich, mit Munch verglichen zu werden, sagt Trier gleich zu Beginn. Darin dürfte er sich vom Fragesteller klar unterscheiden – vielleicht ist es das, was die Lektüre nicht immer zu einem Vergnügen macht. Ein anderer Kritikpunkt ist in Teilen die Sprache. Wo befand sich die Bedeutung? Die Gegenstände deuteten auf sie hin … Wo etwas auf Bedeutung deutet, würde sich der Leser ein bisschen mehr Abwechslung erhoffen, die er doch aus der Kunst, die hier beschrieben ist, überreich kennt. Zumal hier das Original keine Monotonie vorsieht. Zuweilen ist die Übersetzung auch unterhaltend: Der schwedische Titel von John Bergers Buch Ways of seeing (1972) lautet Die Kunst zu sehen, was sich seltsam anhören mag, denn wir alle können ja sehen, nicht wahr, das ist doch keine Kunst? (S. 31)

Knausgård und Munch, zwei berühmte, erfolgreiche (und sicher zu Lebzeiten oft verkannte) Künstler! Und die beiden werden in so vielen Dingen miteinander verglichen, dass ein Verschwörungstheoretiker heute ein Leichtes hätte, Zweifel zu streuen, ob das noch mit rechten Dingen zugeht: Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Wenn man bei MUNCH fast alle Buchstaben austauscht und noch einige hinzufügt, kommt plötzlich KNAUSGÅRD heraus.

Manche Munch-Arbeit aus Knausgårds Buch vermisst man, hat man es vor dem Besuch des K20 gelesen, in der Ausstellung dann doch. Das frühe wie das späte Porträt von Edvards kleinem Bruder etwa. So mag auch der Skeptiker seinen Frieden mit Knausgård schließen: Munchs Leben und Schaffen ist doch nicht in den ganzen Belanglosigkeiten eines Autorenlebens untergegangen. Erleichtert schließlich kann man darüber sein, dass nicht schon wieder eine Munch-Ausstellung vorzeitig schließen musste: 1892, in Munchs erster Ausstellung in Deutschland, sorgten der Verein Berliner Künstler und sein Vorsitzender, der Hofmaler Anton von Werner, für die vorzeitige Schließung. In Düsseldorf schloss die Ausstellung wie geplant am 1. März 2020, bevor Corona stören konnte.

Die Meinungen über Knausgård mögen in entgegengesetzte Richtungen gehen. Da man mit Munch kaum etwas falsch machen kann, ist auch der Katalog zur Düsseldorfer Ausstellung Genuss und Gewinn zugleich. Für viele Menschen, die positivistisch an die Kunst herantreten, ist ein Maler oder ein Autor umso höher zu schätzen, je stärker er die eigene Weltanschauung vertritt. Zumindest die grobe Linie muss stimmten. Und da macht es die Lichtgestalt der norwegischen Kultur Norwegern wie Deutschen leicht, mit der Person auch ihre Kunst zu schätzen. Und Munch wird zur Lichtgestalt, wenn wir ihn Knut Hamsun gegenüberstellen. Einen Vergleich unternimmt auch Knausgård in seinem Buch, hier ist Munch natürlich auf der besseren Seite. Hamsuns NS-Sympathie ließ seine Landsleute die einst geliebten Romane auf das Grundstück des alten Dichters werfen. Hamsuns Nekrolog auf Adolf Hitler, ein Hymnus, lässt keine Fragen offen. Munch agierte dezent, aber wirkungsvoll in die andere Richtung. Er hatte Norwegen als Erben vorgesehen, als am 9. April 1940 die Deutschen das Königreich besetzten. Bald würden jene Zugriff auf Munchs Bilder haben, die drei Jahre zuvor über 80 davon als »entartet« beschlagnahmt hatten. Das konnte Munch nicht gefallen: Er ging zum Notar und änderte sein Testament. Vier Jahre später erbte die Stadt Oslo seine Bilder.

Edvard Munchs Ruhm wird andauern. Da kann Ausstellungen kuratieren und Bücher schreiben, wer will.

Edvard Munch gesehen von Karl Ove Knausgård. Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf 2019. 183 S.

Karl Ove Knausgård: So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche. Edvard Munch und seine Bilder. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. München 2019. 286 S.

Von → Allgemein, Rezension