Skip to content

Frauen und Kühlschränke – Kurzkritiken in der DHIVA

von broemmling am 2. September 2020

Dass „der Baum“ maskulin, die meisten Baumarten feminin sind, ist kein Glied einer sinnvollen Argumentationskette. Diese Einleitung funktioniert nicht nur mit Bäumen, die Mustereinleitung zur Verbindung zweier Gruppen funktioniert auch mit Kühlschränken: „Der Kühlschrank ist im Deutschen männlichen Geschlechts. Im Einzelnen jedoch finden sich die meisten Inhalte in weiblicher Form wieder: die Milch, die Wurst, die Butter, die Margarine …“ Ist der Werbetext von der Autorin oder vom Verlag? Es bleibt zu hoffen, dass sich niemand vom platten Klappentext abschrecken lässt. Denn Dörthe Binkerts Buch über Frauen und Bäume ist erkenntnisreicher Lesegenuss – und da sind wir mitten im Thema, denn vom Baum der Erkenntnis zu essen war einziges Verbot im Paradies. Eva wird nur im Christentum zur Bösen, die das Unglück über die Menschheit brachte, erzählt uns die Autorin. Wir lesen von Yggdrasil, der Weltesche, und den drei Nornen, von sich in Bäume verwandelnden Frauen, von Quellnymphen und Frauen im Garten. Was der gute Text aufbaut, reißt die Illustration wieder ein: Sämtliche über 100 Gemälde, die zumeist im Text erklärt werden, stammen mit einer Ausnahme von männlichen Künstlern. Im Klappentext hätte man einen Hinweis erwartet: „die Illustration“ weiblich, die meisten ihrer Maler aber männlichen Geschlechts…
Geschlechtertrennung wird dort sinnlos, diskriminierend und beliebig, wo die Weiblichkeit das einzige Kriterium für die Aufnahme in eine Anthologie ist. „Weiblichkeit“ ist dann vielleicht genauer zu definieren: als „weiblich“ Eingetragene. Stephanie Ziebells Sammelband 50 Hessinnen wirkt allzu beliebig. Früher ärgerte man sich über 50 Fotos alter Männer, wenn die Süddeutsche Zeitung ihren jährlichen Wirtschaftsgipfel bewarb. Heute versammelt ein Buch die Monaco-Casino-Betreiberin Marie Blanc, 1833 in der Landgrafschaft Hessen-Homburg zur Welt gekommen, und die Opernsängerin Magda Spiegel, bis 1942 „in einem Frankfurter Judenhaus“ wohnhaft und vermutlich in Auschwitz „ums Leben gekommen“. Das ist nicht minder ärgerlich.
Wer „Frau“ und „Mann“ allzu einfach denkt, trägt zur Konservierung des binären Geschlechterverständnisses bei und erleichtert es dem Staat, Geschlecht weiter zu regulieren. Wie in den vergangenen vier Jahrzehnten der österreichische Staat mit trans Personen umgegangen ist, stellt Persson Perry Baumgartinger in ihrer beeindruckenden Dissertation vor. Einfacher wird es nicht, wenn wir uns künftig dem Individuum auch da zuwenden, wo es nicht uns selbst betrifft. Lisa Spanka hat die deutsche und dänische Geschichtsvermittlung im Deutschen Historischen Museum und im Dänischen Nationalmuseum untersucht. Beide Dauerausstellungen erzählen mit heteronormativer Konstruktion von Krieg (Berlin) und Familie (Kopenhagen) die Entstehungsgeschichte der heutigen deutschen und dänischen Gesellschaft.
Vielschichtig zeigen die Beiträge auch des vierten Jahrbuches Sexualitäten, ob und wo und wie sich die Gesellschaft entwickelt. Zuweilen stehen sich die Personen in ihrem Kampf für Gleichheit, Gleichbehandlung und Gleichberechtigung selbst im Wege, wie Caroline A. Sosat in ihrem Essay über weiblichen Selbstzweifel darlegt. Hervorgehoben seien außerdem Jan Feddersens Beitrag über den Eurovision Song Contest als queeres Weltkulturerbe und Christiane Härdels Ausstellungsbericht zur Geschichte der HAW-Frauen und des Lesbischen Aktionszentrums 1972-1982 – doch die Hervorhebung ist willkürlich: Das Jahrbuch versammelt fast ausnahmslos gute Beiträge.

Dörthe Binkert: Frauen und Bäume. Thiele Verlag, München 2018. 159 Seiten, 25 Euro. 978-3- 85179-412-0.
Stephanie Zibell: Hessinnen. 50 Lebenswege. Verlag Waldemar Kramer, Wiesbaden 2019. 384 Seiten, 22 Euro. 978-3-7374-0482-2.
Persson Perry Baumgartinger: Die staatliche Regulierung von Trans. Der Transsexuellen-Erlass in Österreich (1980-2010). Eine Dispositivgeschichte (= transcript GenderStudies|Transkriptionen zwischen Wissen und Geschlecht). Transcript Verlag, Bielefeld 2019. 347 Seiten, 34,99 Euro. 978-3-8376-4854-6.
Lisa Spanka: Vergegenwärtigungen von Geschlecht und Nation im Museum. Das Deutsche Historische Museum und das Dänische Nationalmuseum im Vergleich (= transcript Edition Museum). Transcript Verlag, Bielefeld 2019. 364 Seiten, 44,99 Euro. 978-3-8376-4704-4.
Janin Afken | Jan Feddersen | Benno Gammel | Rainer Nicolaysen | Benedikt Wolf (Hg.): Jahrbuch Sexualitäten 2019. Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations. Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 274 Seiten, 34,90 Euro. 978-3-8353-3525-7.

Von → Allgemein, Rezension