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Kurzkritik Menasse: Die Hauptstadt

von broemmling am 30. März 2018

Ausgelesen! Robert Menasses Roman Die Hauptstadt ist ein mäßiges, wenn nicht ärgerliches Stück Literatur. Wer hätte das gedacht? Robert Menasse wirkte auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2017 (da habe ich das Foto gemacht) wie ein Mensch mit gutem Humor. Doch was auf den ersten Blick als Roman eines Europaliebhabers daherkommt, entpuppt sich schnell als engstirniges, vor allem oberflächliches Werk, belehrend, polternd, mit seichtem Witz, vollgepackt mit unausgegorenen Ideen. Da bemüht der Autor das Hauptmotiv aus Kafkas Verwandlung, weil eine Romanfigur sich nach einem Autounfall wie ein Käfer auf dem Rücken fühlt. Da muss Auschwitz für billigste Witze herhalten, wenn einer anderen Figur vor ihrem Besuch der Gedenkstätte der Kauf warmer deutscher Unterwäsche empfohlen wird (es ist bei weitem nicht der einzige Schenkelklopfer über Auschwitz). Menasses europäische Hauptstadt scheint Wien zu sein, nicht Brüssel – man schreibt eben über das, was man kennt. Der Tscheche ist eigentlich Wiener, zwei Brüder kommen aus Österreich, und ein Professor erinnert sich seiner Kindheit im sechsten Wiener Bezirk.

Wirklich lästig ist der Wortwitz des Autors, der gerade noch erträglich wäre, wenn er nicht immer besonders darauf hinweisen würde nach dem Motto: „Achtung, jetzt kommt ein lustiger Wortwitz!“ Der Beispiele sind viele, ich mag gar nicht alle nennen: Der katholische Andachtsraum war von einer unglaublichen Hässlichkeit. Unglaublich – das war schon wieder grotesk an einem Ort des Glaubens. Oder Dieser Widerspruch hatte Fenia als Kind sehr beunruhigt: unsterblich bis in den Tod. Oder Blödes Wortspiel, dachte Erhart, Ungewissen – Gewissen, und entschuldigte sich bei sich selbst. Oder Sitzenlassen – aber wie denn? Émile Brunfaut konnte ja kaum sitzen. Das Steißbein tat unerträglich weh. Oder Er fand sie stimmig. Stimmung, stimmig, ja, es stimmte. Oder – und jetzt wird es besonders blöd, weil der Autor nicht nur mitteilt, dass er lustig sei, sondern auch des Französischen mächtig – Jedenfalls, in diesem Brief schrieb mit eine Person, die sich selbst tatsächlich „Personne“ nannte. In einem Arbeitszeugnis hätte vermutlich gestanden, der Autor sei stets bemüht gewesen. Dass es für den Deutschen Buchpreis im letzten Herbst gereicht hat, wundert mich schon.

Allerdings gibt es auch einige – wenige – wirklich schöne Stellen im Buch, die zeigen, dass Robert Menasse durchaus einen Einblick in Brüsseler Prozesse hat. Da schreibt er über die Lobbyisten in Expertengruppen: Sie waren in solchen Advisory Groups nicht Vertreter von Konzernen, sie waren Vertreter der Stiftungen von Konzernen. Der ganze folgende Passus ist eine erstaunlich gute Analyse der Rolle und Argumentation von Think Tanks oder von Institutionen, die sich dafür halten. Und gefallen hat mir auch ein kurzer Dialog zweier Antiroyalisten, die dem belgischen König zugute hielten, dass er in der Zeit des belgischen EU-Ratsvorsitzes keine Regierung ernannt hatte: Nie, sagte Philippe, hatte Belgien besser funktioniert als in dieser Zeit ohne Regierung. Das kennen wir doch irgendwoher? Dabei hat Menasse sein Buch vor der Bundestagswahl 2017 veröffentlicht. Muss man deshalb das ganze Buch lesen? „Ich stelle anheim“, würde man in Brüssel vielleicht sagen.

Robert Menasse: Die Hauptstadt. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 459 Seiten, 24 Euro. 978-3-518-42758-3.

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