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Kurzkritik Bachleitner: Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848

von broemmling am 4. Februar 2018

Ausgelesen! Um Österreich mag es derzeit nicht so gut bestellt sein (wenn es erlaubt ist, sich vom Nachbarland aus einzumischen). Doch das die Pressefreiheit bedroht ist, so weit scheint man noch nicht zu sein. Da hat unser südlicher Nachbar schon härtere Zeiten erlebt. Norbert Bachleitner, Leiter der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien, liefert eine umfassende Analyse der Zensur der Habsburgermonarchie in den hundert Jahren bis 1848. Am 13. März 1848 brach in Wien die Revolution aus, und mit der Absetzung des Staatskanzlers Metternich kam die Pressefreiheit zu neuer Blüte. Bis dahin aber sorgte ein System von Verordnungen, Zensoren, Maßnahmen dafür, dass von freier Meinungsäußerung keine Rede sein konnte. Autoren, Verleger, Buchhändler: Alle mussten auf der Hut sein. Das Buch beschreibt nicht nur die institutionellen Grundlagen und die Arbeitsweise der Zensoren. Vor allem die zehn Fallstudien von Zensur unterschiedlicher Gattung und Zeitabschnitte machen das neue Werk zu einer spannenden Lektüre.

Was zunächst überrascht: Zensur war keinesfalls immer gleichbedeutend mit böser Absicht. Anfangs stand die Zensur auch in Österreich durchaus im Dienst der Aufklärung. So achteten die Zensoren bei Theateraufführungen etwa darauf, daß auf dem Theater nichts extemporirt werde, keine Prügeleien stattfünden, auch keine schmutzigen Possen und Grobheiten passirt, sondern der Residenzstadt würdige Stücke aufgeführt werden. Doch nach und nach griff die Zensur immer tiefer in die Inhalte ein. Auch die Warnung vor Goethes Werther jedenfalls dürfte noch kaum aus Angst vor Taten wider die Obrigkeit gesteuert sein. Durchschaubarer arbeitete die Zensur da schon beim Vorgehen gegen Hermann Kunibert Neumanns Erz und Marmor. Drei vaterländische Dichtungen von 1737, die den Jürgen Wullenweber positiv beschreibt, der 1533-35 Lübecker Bürgermeister war und in dieser Zeit gegen die Vorherrschaft von Papst und Patrizier kämpfte. Österreich hatte einst mit versucht, Wullenweber zu beseitigen. Dass das Stück den Zensoren nicht gefiel, war offenbar. Das ist nur einer von zehn spannenden Fällen, der die Lektüre des ganzen Buches lohnt.

Wie sagt mein türkischer Friseur so schön: „Warum schreiben denn eure Journalisten zwar alles mögliche Falsche über Erdoğan, aber nicht über deutsche Politiker? Kann ich dir sagen: Weil sie nicht dürfen!“ Hoffen wir, dass wir von diesen Zeiten weit entfernt sind.

Norbert Bachleitner: Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848 (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen Band 28). Böhlau Verlag, Wien 2017. 528 Seiten, 60 Euro. 978-3-205-20502-9.

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