Skip to content

Kurzkritik Pellegrino: Atlas Hotel

von broemmling am 4. Januar 2018

Ausgelesen! Bruno Pellegrino hat vermutlich eigentlich eine Beziehungsgeschichte schreiben wollen, aber ihm ist mit Atlas Hotel viel mehr gelungen: Ein rasanter Bericht einer Reise von Moskau mit der Transsib nach Peking und dann weiter mit dem Flugzeug nach Tokio. Nichts ist aufgesetzt, alle Bilder stimmen: So wie sie den Zug genommen haben, um sich zu einem Kontinent vorzutasten, ziehen sie jetzt zu Fuß los, um sich mit Tokio vertraut zu machen. Das stimmt milde beim Urteil über Anglizismen wie Einmal mehr, die schließlich auch der Übersetzerin geschuldet sein könnten.

Noch gelungener als die Reiseerzählung aber ist der erste Teil, in dem die Hauptfigur Entwicklungshelfer auf Madagaskar ist oder zumindest als solcher beginnt. Wer schon mehrmals mehrere Wochen in Afrika unterwegs war wie ich (und um wieviel mehr jene, die dort Jahre verbrachten wie mein guter Freund Lars), wird erstaunt feststellen, wie genau Bruno Pellegrino die Lebensumstände beschreibt: die nutzlosen Tage, weil entweder die Technik nicht funktioniert oder die Aufgaben nicht klar formuliert sind, die Schilderungen von Vieh und kriechendem Gewürm (okay, das ist jetzt nicht aus Pellegrinos Roman, sondern aus Haydns Schöpfung zitiert, aber genau das findet sich dort alles) und vor allem von den Busreisen: unerklärliche Zwischenstopps mitten im Nirgendwo, als wäre Zeit verlieren obligatorisch, … Proviant, um die Zeit totzuschlagen, … der Kopf im Schraubstock der feuchten Luft, die man sich gegenseitig in die Fresse haucht …: Pellegrino muss schon mehrmals im Buschtaxi in Afrika unterwegs gewesen sein, das bekommt man so treffend sonst einfach nicht hin.

Wie nah der Autor der Hauptfigur kommt, zeigt sich beim besonderen Leseerlebnis: Pellegrino hat sich für die personale Erzählperspektive entschieden, aber sie ist so dicht am Empfinden der Hauptfigur, dass ich mehrmals dachte, bislang einen Ich-Erzähler zu erleben, und mich bei einem neuen Absatz oder Kapitel wunderte, warum es „er“ und nicht „ich“ heißt. Aber die Perspektive ist durchgängig personal, nur eben intensiv personal.

Und die Beziehung? Die schildert Pellegrino auch klug und sensibel, auch da dürfte er also, noch keine 30, schon einiges erlebt haben. Ein sympathisches Buch, unbedingt lesenswert, auch wenn es eigentlich zwei Erzählungen sind, die für sich stehen können.

Bruno Pellegrino: Atlas Hotel. Roman. Aus dem Französischen von Lydia Dimitrow. Übersetzung gefördert von Pro Helvetia. Edition Blau im Rotpunktverlag, Zürich 2016. 163 Seiten, 22 Euro. 978-3-85869-713-4.

Von → Allgemein