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In die Geschichte Österreichs hineingelesen. Vier Kurzkritiken

von broemmling am 23. April 2017

Ausgelesen! Alle reden von Frankreich, ich nicht. Am Wochenende der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen habe ich mich tief in die Geschichte Österreichs hineingelesen und empfehle jenen, die es mir gleichtun wollen, vier Neuerscheinungen. Ein gutes Gechichtsbuch hat immer auch mit der Gegenwart zu tun, und die vorgestellten vier Titel spiegeln Vergangenheit und Gegenwart auf vielfache Weise wider.

Wir wissen viel zu wenig über unsere Nachbarn im Süden und sind mit Vorurteilen über die Österreicher behaftet. Eine der großen geschichtlichen Gestalten aber kennen wir alle – oder glauben sie zu kennen: Kaiserin Maria Theresia, die vier Jahrzehnte lang die Geschicke ihres Landes – und Europas – lenkte. Ganz fehlt der Bezug zu Frankreich übrigens nicht, denn die herausragende neue Biographie der Kaiserin hat eine Französin geschrieben. Leider ist das bei Zscholnay erschienene Buch in den Hintergrund des Interesses geraten, weil eine andere Biographie über Maria Theresia den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat, Barbara Stollberg-Rillingers Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit, bei Beck verlegt. Ich will hier nicht beide Biographien miteinander vergleichen oder gar gegeneinander aufrechnen, wie es quer durch die deutschen Feuilletons geschehen ist. Das Buch der französischen Philosophie Élisabeth Badinter über Maria Theresia ist von einer besonderen Begeisterung für die Protagonistin getragen, die allerdings jeder Peinlichkeit entbehrt, wie so sonst oft entsteht, wenn ein Autor zu eingenommen von der Person ist, über die er schreibt (unvergessen: Emanuel Eckardts Biographie über Herbert List, die mit den Worten Was für ein Mann! beginnt). Die Autorin hat die historische Person und ihre Bedeutung erst über die Briefe der Mutter an Marie Antoinette entdeckt. Während Élisabeth Badinter die verschiedenen Rollen Maria Theresias prägnant schildert, wird die Besonderheit dieser Persönlichkeit deutlich. Es geht nicht nur darum, dass sie eine besondere Frau war. Sie war vor allem ein besonderer König (wer hier die Bezeichnung „Königin“ oder „Kaiserin“ erwartet, lese Badinter oder Kantorowicz). Nur manchmal lassen einige Formulierungen den Leser (auch die Leserin) doch schmunzeln: Dass Mutter von 16 Kindern zu sein eine Herausforderung sei, mit der kein männlicher Herrscher je konfrontiert war, ist zweifellos richtig, aber gleichwohl sehr lustig formuliert.

Ein vermeintlich bekanntes Thema hat sich der Historiker Konrad Canis in seinem Buch über die Außenpolitik Österreich-Ungarns vorgenommen. Jedem ist die Doppelmonarchie ein Begriff. Aber wer weiß wirklich, wie es zur Bildung von Österreich-Ungarn kam, einem Vielvölkerstaat, der nur ein halbes Jahrhundert existierte Konrad Canis erzählt faktenreich, wie am Beginn und am Ende dieses Staates ein verlorener Krieg stand, welche Erwägungen dazu führten, Österreich-Ungarn als Gegenentwurf zum deutschen Nationalstaat entstand. „Bedrängt“ ist ein milder Ausdruck für den Druck und Gegenwind, für Intrigen und Ränke, denen sich Österreich-Ungarn gegenüber sah, ganz gleich, ob es sich dabei um Freund oder Feind handelte. Viele Einzelheiten, etwa die Hoffnungen an eine Annäherung an Russland, das Wien gegenüber freundlicher agierte als gegenüber Berlin, werden den meisten Lesern neu sein, und Konrad Canis überrascht den Leser damit, dass er zwar quellenkundig schreibt, aber nur ganz selten ins Kleinteilige abdriftet. Schließlich liefert er, wo es um das Ende von Österreich-Ungarn geht, noch eine schlüssige Analyse des Beginns des Ersten Weltkrieges mit.

Mit dem Ende Österreich-Ungarns hatte auch die Regierungsgeschichte der Habsburger ihr Ende gefunden. Der Einfluss des Hauses und der Komponenten habsburgischer Politik auf die österreichische Gesellschaft dauerte fort. Wo frühere Gesetze die Grundlage für spätere bildeten, wie zusätzlich Habsburg-Nostalgie und Erinnerungskultur ihre Spuren in Österreich hinterließen, vor allem in der Ersten Republik zwischen 1918 und 1933, zeigt der Schweizer Historiker Carlo Moos (* 1944) in seinem Werk Habsburg post mortem. Es ist neben dem schon besprochenen Band von Konrad Canis (* 1938) ein weiterer Beleg für den großen Erkenntnisgewinn, den Forscher bereiten, die sich schon viele Jahrzehnte mit einer Epoche beschäftigen und nicht von Thema zu Thema hüpfen, um jedes Jahr ein neues Buch herauszubringen. Die Spuren der Habsburgermonarchie entdeckt Carlo Moos nicht nur in der Politik und im politischen System, sondern ebenso in Literatur, Kunst und Musik. Dabei nimmt er sich nicht nur solcher Werke an, die erst nach 1918 die Habsburgerzeit rezipieren. Erstaunlich, wie schlüssig er etwa auch Adalbert Stifters Nachsommer (1857), den Ulrich Greiner den bedeutendsten Roman der österreichischen Literatur nennt und dessen Langweiligkeit Thomas Mann enorm und faszinierend fand, relevant für die Nachwirkung Habsburgs in Österreich anführt. Und sinnigerweise weist der Autor darauf hin, dass auch in uns Deutschen Habsburgerglanz aufleuchten lassen jedes Mal, wenn wir die von Haydn komponierte deutsche Nationalhymne singen. Schließlich hat auch ein Norweger die schwedische Nationalhymne komponiert, es sind späte Rachen des kleinen Bruders.

Wer sich durch so viel historisches Material gelesen, manchmal auch gekämpft hat, der ruhe aus mit einem schönen Band, der uns 600 Jahre Wiener Gartenkunst nahebringt. Da VIERVIERTELKULT, die Vierteljahresschrift der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, für deren Konzeption und Schriftleitung ich stehe, sich im Sommer 2017 den Schwerpunkt Garten gesetzt hat, gibt mir Anlass, schon heute auf das Thema hinzuweisen wie auf den bei Böhlau erschienenen Band, in dem Eva Berger von wunderbaren Gärten erzählt, angefangen von den Gärten der Hofburg, besungen 1547 als Ein jrrgarten zu lust geziert, bis zum Garten der Villa Tugendhat aus den 1920er Jahren. Das Buch ist, wie sollte es bei Gartenkunst anders sein, reich bebildert. Aber es besticht auch durch schönen Text, nicht nur den von Eva Berger: Hugo von Hofmannsthals Artikel Gärten in Wien, erschienen in der Wiener Zeit vom 17. Juni 1906, ist ebenfalls abgedruckt.

Élisabeth Badinter: Maria Theresia. Die Macht der Frau. Aus dem Französichen von Horst Brühmann und Petra Willim. Paul Zscholnay Verlag, Wien 2017. 301 Seiten, 24 Euro. 978-3-552-05822-4.

Konrad Canis: Die bedrängte Großmacht. Österreich-Ungarn und das europäische Mächtesystem 1866/67-1914. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2016. 567 Seiten, 68 Euro. 978-3-506-78564-0

Carlo Moos: Habsburg post mortem. Betrachtungen zum Weiterleben der Habsburgermonarchie. Böhlau Verlag, Wien 2016. 414 Seiten, 39,99 Euro. 978-3-205-20393-3.

Eva Berger: „Viel herrlich und schöne Gärten“. 600 Jahre Wiener Gartenkunst (= Österreichische Gartengeschichte). Böhlau Verlag, Wien 2016. 388 Seiten, 39,99 Euro. 978-3-205-20332-2.

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