Skip to content

Wagner und Hitler. Kunst, Ästhetik und Geschichte. Und ein absoluter Lesetipp. Drei Kurzkritiken

von broemmling am 6. April 2017

Ausgelesen! Wer immer sich mit Richard Wagner befasst, kommt an des Komponisten Antisemitismus nicht vorbei. Die Musik mag groß sein und ist es, musikalisch mag Wagner ein Genie gewesen sein und war es. Menschlich und ideologisch war er ein armer Wicht, ein gefährlicher Mensch. Dieses Jahr fahre ich wieder nach Bayreuth, und noch einmal habe ich mir Wagners Aufsatz Das Judentum in der Musik vorgenommen, kopfschüttelnd ob der erbärmlichen Argumentation. Man merkt die Absicht und ist verstimmt, hätte Hildesheimer geschrieben. Und ist es nicht ein schönes Zeichen, dass in der einzigen Ausgabe, die ich von diesem Aufsatz habe, nicht einmal mehr die Bindung halten will? Das Foto belegt den Zustand.

Meine Lektürebeobachtung am Zustand eines hässlichen Taschenbuches festzumachen, ist weder literaturwissenschaftlich noch historisch noch soziologisch sonderlich tiefschürfend. In etwa auf diesem Niveau ist die Auseinandersetzung auch die letzten 150 Jahre geführt worden, wenn es um die Frage ging, ob Wagner durch seine antisemitischen Äußerungen eigentlich Nationalsozialist war. Weder eine brüske Ablehnung dieser Folgerung noch unbedingte Zustimmung treffen der Wahrheit Kern. Hubert Kiesewetters großes Verdienst ist es, diese Lücke in Wissenschaft und Forschung mit einem verhältnismäßig schmalen Werk geschlossen zu haben. In Von Richard Wagner zu Adolf Hitler, 2015 bei Duncker & Humblot erschienen, legt er schlüssig dar, wie erst der Wagner-Clan, darunter vor allem Cosima Wagner, Houston Stewart Chamberlain, Hans Paul Frhr. von Wolzogen und Winifred Wagner, des Komponisten Antisemitismus zu einer rassistischen Ideologie weiterentwickelt hatte, die den Nationalsozialisten noch passgerechter erscheinen musste als es Wagners Gedanken ohnehin schon waren. Dabei gelingt Kiesewetter der unglaubliche Spagat, Wagner nicht zu verurteilen, ihn aber moralisch auch nicht freizusprechen. Viel bemerkenswerter ist allerdings eine weitere Bemerkung Kiesewetters. Vehement lehnt er alle „Was wäre wenn“-Spiele ab, die Wagners Lebenszeit ins „Dritte Reich“ hineinphantasieren, und kommt zu dem Schluss: Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, dass wir trotz unüberschaubarer Publikationen von dem übelsten Teil der deutschen Geschichte wohl auch in tausend Jahren nicht loszukommen vermögen, selbst wenn dringende politische Probleme zu analysieren sowie zu lösen sind. Denn es gibt ja wirklich bedeutendere Persönlichkeiten sowohl der Kunst als der Politik, denen wir nachahmen könnten. Diese Mahnung ist so dringend nötig wie vergebens. Dass Kiesewetter mit seinem Buch dem unüberschaubaren Berg eine weitere Publikation hinzugefügt hat, ist entschuldbar: Wenn ein Band zu diesem Thema in den letzten Jahren erhellend war, dann dieser.

Ganz so einfach ist es natürlich auch nicht. Schließlich soll sich die Wissenschaft inklusive ihrer Publikationen mit der Realität befassen, und eine Faszination an Nazithemen ist bis heute nicht zu leugnen, geäußert von Antifaschisten genauso wie von Neonazis und vielen Menschen dazwischen. Prinz Harry kommt im Nazikostüm zur Party, und ein Pony trägt auf einem Plakat eine Hakenkreuzbinde mit dem verniedlichenden Titel „Ein Volk, ein Reich, ein Pony“. Jeleny Jazo hat in einer gerade erschienenen von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Dissertation über Postnazismus und Populärkultur hunderte solcher Beispiele vom Nachleben faschistischer und faschistoider Ästhetik gefunden. Dabei geht es der Autorin nicht um bloßes Aufzählen. Sie fordert Konsequenzen für die Medienpädagogik.

Kiesewetter und Jazo entlarven jeweils auf eigene Weise den verharmlosenden Umgang der Nachwelt – und das meint jeden Einzelnen von uns – mit dem Thema Nationalsozialismus. Beide Bücher lohnen die Lektüre, wenn man tiefer in das Thema einzutauchen bereit ist. Um sich die Absurdität der Ereignisse damals vor Augen zu führen, sollte jedoch jeder, ob bereit oder nicht, das kleine Bändchen Adressat unbekannt von Kathrine Kressmann Taylor lesen. Über die Autorin, die diesen Briefroman 1938 geschrieben hat, ist fast nichts bekannt. Einige Originalbriefe liegen dem als Address Unknown veröffentlichten Text zugrunde. Der Rest ist Dichtung. Oder man sollte besser sagen: Verdichtung. Kressmann Taylor macht den Leser sprachlos. Mehr kann man nicht sagen. Und mehr darf man nicht verraten. Außer dass dieses Buch jeder lesen muss. Dass Elke Heidenreich das Buch empfiehlt, soll niemanden verstören, das Buch ist wirklich gut, und in diesem Fall gebührt auch Elke Heidenreich großer Dank dafür, dass sie das Buch weiter bekannt macht. In diesem Fall kann man nur lesen und weitergeben, weitersagen, weiterschenken. Adressat unbekannt wird man jedenfalls nicht mehr vergessen.

Hubert Kiesewetter: Von Richard Wagner zu Adolf Hitler. Varianten einer rassistischen Ideologie. (= Zeitgeschichtliche Forschungen 47). Duncker & Humblot Gmbh, Berlin 2015. 259 Seiten, 38 Euro. 978-3-428-14543-0.

Jelena Jazo: Postnazismus und Populärkultur. Daas Nachleben faschistoider Ästhetik in Bildern der Gegenwart (= Transcript Image). Die Promotion wurde gefördert von der Hans Böckler Stiftung. Transcript Verlag, Bielefeld 2017. 279 Seiten, 34,99 Euro. 978-3-8376-3752-6.

Kathrine Kressmann Taylor: Adressat unbekannt. Aus dem Amerikanischen von Dorothee Böhm. Mit einem Nachwort von Elke Heidenreich. Atlantik Taschenbuch bei Hoffmann und Campe, Hamburg 7. Auflage 2017. 76 Seiten, 9 Euro. 978-3-455-65013-6.

Von → Allgemein