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Thema des Monats: Tiere und mehr im Kalten Krieg. Fünf Kurzkritiken

von broemmling am 2. April 2017

Ausgelesen! Der Kalte Krieg dauerte 44 Jahre, und vermutlich wird die öffentliche Faszination an Themen des Kalten Krieges 444 Jahre andauern. In letzter Zeit häuften sich die Neuerscheinungen, die sich mit Sonderfragen der Ost-West-Beziehungen befassten. Die Wesen, Mittel und Werkzeuge, die im Kalten Krieg als Waffen dienten, konnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Sie reichen von Tieren über Radiosendungen und Buchhandlungen bis hin zu Grenzübergängen.

Wer zwischen 30 und 60 Jahre alt und in Berlin großgeworden ist, erinnert sich an Besuche im Zoologischen Garten oder im Tierpark – und zwar entweder ans eine oder ans andere. Denn die Stadt war geteilt, und die Berliner des Westteils besuchten den Zoo, die Ostberliner den Tierpark. Ähnlich geteilt bekannt bei jeweils nur einer Hälfte der Berliner waren die beiden Zoodirektoren: Wer aus dem Osten kommt, dem fällt sofort Prof. Dr. Dr. Dathe ein, der Westberliner kennt Prof. Heinz-Georg Klös. An der Ungleichheit dieser beiden Direktoren hängt Jan Mohnhaupt sein Buch über die Entwicklungen der beiden Berliner Zoos auf und hat viele Einzelheiten aus der Geschichte nicht nur der Berliner Tiergärten zusammengetragen. Tuffi, der Elefant, der aus der Wuppertaler Schwebebahn in die Wupper stürzte, spielt ebenso eine Rolle wie Moby Dick, der Wal, der rheinaufwärts bis nach Bonn geschwommen war. So interessant die einzelnen Geschichten sind, so sehr hat der Autor doch Mühe, die Fäden wieder zusammenzubringen. Jedenfalls kehrt er mäandernd immer wieder zum Ausgangspunkt zurück, was nicht weiter störte, wenn er nicht immer von Neuem das eine gleiche Faktum unterstreichen würde: Dass die beiden Direktoren so unterschiedlichen Charakters waren. Zuweilen scheint er es auch dem schlichtesten Leser noch einmal erklären zu wollen. An einer Stelle, als er von der Konkurrenz zwischen Heinz-Georg Klös und seinem Mitarbeiter Wolfgang Gewalt erzählt und Gewalt mit den Worten zitiert „Na, det hab ick mit dem blonden Heinz so abjemacht“, erläutert er tatsächlich noch einmal: „Mit dem blonden Heinz meinte er seinen Chef Heinz-Georg Klös.“ Und mäandert weiter. Aber für die West- und Ostberliner ist das Buch dennoch eine schöne Erinnerung an die Kindheit, an Zoobesuche und eine interessante Analyse des Wettbewerbs zweier ungleicher Zoos, von dem man auch als Kind durchaus etwas mitbekommen hat. Vielleicht leidet das Buch vor allem unter seinem Titel. Der Zoo der Anderen mit dem elendig langen Untertitel Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete verspricht reißerischeren Inhalt als ihn der Autor dann liefern kann. Politische Tiere hätte als Titel völlig genügt.

Einen theoretischen Unterbau zur Rolle von Tieren als Instrument der Außenbeziehungen findet man bei Mohnhaupt nicht, allerdings ist ein solcher auch keineswegs versprochen. Ein neuer Sammelband bei Böhlau füllt diese Wissenslücke mehr als aus. Da geht es nicht nur um Tiere, sondern um alle möglichen Medien der Außenbeziehungen – und dies nicht nur im Kalten Krieg: Die Beiträge behandeln Einzelaspekte auch aus der Antike und der frühen Neuzeit. Zu solchen Medien der Außenbeziehungen gehört nicht nur Schrifttum von der Geheimdepesche bis zur Boulevardzeitung, wie Frederike Schotters in einem Aufsatz zu den französisch-russischen Beziehungen in Mitterands ersten Jahren als Staatspräsident zeigt. Medien transportieren Informationen, sie können sie speichern, sie können sie aber auch in ihrer Aussage und Botschaft verändern. Ganz gleich aber, welche Medien eingesetzt werden: Es geht immer auch um die Einhaltung der Etikette, und Höflichkeit und Achtung dürften für gute Außenbeziehungen Grundvoraussetzungen sein. Wenn wir noch einmal zu Mohnhaupts politischen Tieren zurückkehren: Robert Kennedy machte Willy Brandt 1962 einen altersschwachen Weißkopfseeadler mit verhornten Klauen zum Geschenk (der zu allem Überfluss auch noch auf den Namen „Willy Brandt“ getauft wurde), und Heinrich Lübke brachte aus Afrika in der Hoffnung auf Zuchterfolge einen kastrierten Leoparden mit. So viel Unhöflichkeit hätten sich vermutlich Staaten des Ostblocks gegenüber ihren Feinden kaum getraut.

Als wie in der DDR üblich auch Tierparkdirektor Heinrich Dathe gegenüber dem Lehrer seines Sohnes schriftlich zusagen soll, keine Westmedien zu hören, weigert er sich erfolgreich – und die anderen Eltern der Klasse schließen sich ebenso erfolgreich dieser Weigerung an. Solche offenen Weigerungen waren die Ausnahme. Wie verbreitet dennoch der unerlaubte Konsum der Westmedien in der DDR war – erstaunlicherweise ein selten in wissenschaftlicher Tiefe betrachtetes Phänomen – zeigt Franziska Kuschel. Im Vergleich zu ihren Bruderländern des Warschauer Paktes hatte es die DDR besonders schwer, westlichen Einfluss zu begrenzen oder auch nur zu kontrollieren: Schließlich empfingen die Menschen in Ostdeutschland den Feindsender RIAS und andere westliche Programme in ihrer Muttersprache. Der Leser erfährt von Hürden bei der gegenseitigen Beeinflussung (denn natürlich ging es immer auch um die BRD und die Ostmedien), die heute vergessen sind, etwa die Folgen unterschiedlicher Farbfernsehsysteme, PAL im Westen, SECAM im Osten, für den Konsum der Programme des Nachbarlandes. Ob Aussortieren von Westaltpapier durch Mitarbeiter des VEB Altstoffhandel für Bekannte, ob gestohlene Bücher bei der Leipziger Buchmesse: Die Autorin hält eine Fülle von Informationen bereit und beschränkt ihre Darstellung doch auf lesbare 300 Seiten.

Ein besonderes Interesse am Thema muss da schon der Leser von Uwe Sonnenbergs Darstellung des linken Buchhandels in der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren gepackt haben, will er das Buch ganz durchlesen. Von ersten Organisationsfragen der „Revolutionären Literaturproduktion“, von der Gründung erster linker Buchhandlungen, von Gegenbuchmessen und dem VLaB, dem Verzeichnis lieferbarer alternativer Bücher zeichnet der Autor kenntnisreich und ausführlich eine Landschaft nach, die es heute nicht mehr gibt. Immer wieder ertappt sich der Leser dabei, dass er sich auch für die Gegenwart ein bisschen mehr Gegenöffentlichkeit wünscht in einer Zeit, in der auch die ZEIT keine Position mehr bezieht, sondern Themen jeweils durch einen Gegner und einen Befürworter kommentieren lässt.

Bildlich gesprochen schien im Kalten Krieg der Eiserne Vorhang das beste Bild für die Grenze der Ideologien. Jan Mohnhaupt berichtet von der Republikflucht eines Tierparkwärters im Transportkäfig einer Elchkuh. Jeder Westdeutsche, jeder Westberliner kann sich an unzählige Momente an den Grenzübergängen bei der Einreise in oder der Durchreise durch die DDR erinnern. Wie die Grenzübergangsstellen aber konstruiert waren, wie der Alltag der Grenzpolizisten aussah, welche wirtschaftliche Bedeutung diesen Kontrollpunkten zukam und unter welchen Bedingungen die Menschen in den Sperrgebieten lebten, ist weitgehend unbekannt. Am Beispiel des Grenzübergangs Helmstedt-Marienborn bringt ein informatives Buch der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt Licht ins Dunkel. Die Lektüre Lesevergnügen zu nennen, mag der historischen Dimension und dem vielfältigen menschlichen Leid nicht gerecht werden, das dieser Aspekt der deutschen Teilung für viele bedeutete. Und doch bereiten einem die zehn versammelten Beiträge kurzweilige Lektüre.

Jan Mohnhaupt: Der Zoo der Anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete. Carl Hanser Verlag, München 2017. 300 Seiten, 20 Euro. 978-3-446-25504-3.

Peter Hoeres | Anuschka Tischer (Hg.): Medien der Außenbeziehungen von der Antike bis zur Gegenwart. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf. Böhlau Verlag, Köln 2017. 519 Seiten, 80 Euro. 978-3-412-50709-1.

Franziska Kuschel: Schwarzhörer, Schwarzseher und heimliche Leser. Die DDR und die Westmedien (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert Band 6). Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 328 Seiten, 34,90 Euro. 978-3-8353-1789-5.

Uwe Sonnenberg: Von Marx zum Maulwurf. Linker Buchhandel in Westdeutschland in den 1970er Jahren (= Geschichte der Gegenwart Band 11). Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 568 Seiten, 44 Euro. 978-3-8353-1816-8.

„Mit den Autos kommt die Ideologie“. Der Grenzübergang Helmstedt-Marienborn im Kontext der Teilung Deutschlands und Europas (= Wissenschaftliche Reihe der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt Band 3). Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2016. 159 Seiten, 14,95 Euro. 978-3-95462-548-2.

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