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Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau: Kurzkritiken in der Frühlings-DHIVA

von broemmling am 6. März 2017

Ausgelesen! Wie in jeder Ausgabe gebe ich auch im gerade erschienenen Frühlingsheft der DHIVA, einer Zeitschrift für Frauen, Sexualität und Gesundheit, Literaturtipps. Diesmal lade ich zum Aufbruch aus der androzentrischen Welt ein:

Fragezeichen in Buchtiteln sind des Teufels – oder gerne der Teufelin. Ein Buch über Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit schätzt seine eigene Bedeutung gering, wenn der Titel relativierend Nur die Frau des Kaisers? fragt. Ein Band, der herausragende Frauengestalten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrunderts versammelt, schmälert seinen Inhalt, wenn diese Größen der Geisteswelt – darunter Rahel Varnhagen, George Eliot und Madame de Staël– als Frauen der Heine-Zeit klassifiziert werden. Vollends zu Objekten geraten die Frauen im Buch über Arthur Schnitzler und seine süßen Wiener Mädel, was in diesem Fall vermutlich so gewollt ist, denn es geht ja um den Wiener Künstler, der alle diese Frauen haben will. Aber warum heißt Kerstin Deckers neue Biographie über Elisabeth Förster-Nietzsche Die Schwester? Lässt sie sich wirklich nur verkaufen, wenn schon der Titel auf den Bruder, den Philosophen verweist? Mehr Mut!

Die Titel ärgern vor allem deswegen, weil sich dahinter fabelhafte Bücher über große Gestalten aus Politik, Kultur und Gesellschaft verbergen, die des Verweises auf einen Mann gar nicht bedürfen. Nach ihrer Biographie über Frieda von Bülow (vgl. DHIVA September 2015) hat Kerstin Decker wieder den Charakter einer Persönlichkeit so gut herausgearbeitet, dass man mitleidet, mitfiebert und mitlacht, wenn Elisabeth Förster-Nietzsche etwa Harry Graf Kessler bittet, mit der Umsetzung eines Plans wenigstens zehn Jahre zu warten, denn „da werde ich ja hoffentlich tot sein.“ Und die Kaiserinnen der Frühen Neuzeit stehen gut auch ohne ihre Kaisergatten da.

Dass es auch anders geht, zeigt Regula Winkelmanns und Peter Watchorns Biographie über Isolde Ahlgrimm. Die Cembalistin veranstaltete in ihrer Geburtsstadt Wien zwischen 1937 und 1957 die „Concerte für Kenner und Liebhaber“ auf historischen Instrumenten. Isolde Ahlgrimm muss eine faszinierende Künstlerin gewesen sein, die ihre Virtuosität in den Konzerten erst öffentlich, dann im privaten Kreis unter Beweis stellte. Auch wenn sie die „Concerte“ gemeinsam mit ihrem Mann Erich Fiala gab, der gerne als Künstlerischer Leiter fungierte, auch wenn sie aus Rücksicht auf ihn zeitweise auf größeren Ruhm verzichtete, ist sie nie nur die Ehefrau oder Partnerin. Isolde Ahlgrimm tritt als ganz eigenständige Künstlerin vor das Auge der Leser. Bedeutung erlangen große Frauengestalten wie sie eben nicht erst durch ihre Beziehung zum Mann oder Bruder oder Zeitgenossen.

Dass Frauen es lange Zeit deutlich schwerer hatten, ihr Talent der Öffentlichkeit bekannt zu machen, steht außer Zweifel. Formale Vereinigungen und informelle Netzwerke konnten zuweilen solche Nachteile mit konkreter Hilfe und Förderung ausgleichen. Marianne Baumgartner stellt kurzweilig den Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien vor, der von 1885 bis 1938 als Plattform zum Erfahrungsaustausch diente. Und wenn hier Männernamen auftauchen, sind es nicht selten nur Pseudonyme; im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die Frauen.

Bettina Braun | Katrin Keller | Matthias Schnettger (Hg.): Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit. Böhlau Verlag, Wien 2016. 978-3-205-20085-7. 272 Seiten, 60 Euro.

Beate Borowka-Clausberg (Hg.): Salonfähig. Frauen in der Heine-Zeit. Morio Verlag, Heidelberg 2016. 978-3-945424-31-5. 151 Seiten, 19,95 Euro.

Johannes Sachslehner: Alle, alle will ich. Arthur Schnitzler und seine süßen Wiener Mädel. Styria Verlag, Wien 2015. 978-3-222-13505-7. 239 Seiten, 26,90 Euro.

Kerstin Decker: Die Schwester. Das Leben der Elisabeth Förster-Nietzsche: Berlin Verlag, Berlin 2016. 978-3-8270-1277-7. 652 Seiten, 24 Euro.

Regula Winkelman | Peter Watchorn: Die Cembalistin Isolde Ahlgrimm (1914-1995). Eine Wegbereiterin der historischen Aufführungspraxis. Böhlau Verlag, Wien 2016. 978-3-205-79679-4. 288 Seiten, 29,99 Euro.

Marianne Baumgartner: Der Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien (1885 – 1938). Böhlau Verlag, Wien 2015. 978-3-205-79702-9. 443 Seiten, 49 Euro.

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