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Kurzkritik Institut für Zeitungsforschung und frühe Schriften für und wider die Zeitung

von broemmling am 7. Februar 2017

Ausgelesen! Harten Zeiten sieht sich der Qualitätsjournalismus entgegen. Schon vor einem Jahr gründeten mehrere Stiftungen eine Initiative für die Förderung des Qualitätsjournalismus – da war an einen trumpeligen US-Präsidenten und an alternative Fakten noch gar nicht zu denken. Aber der Schmähruf von der Lügenpresse war bereits in der Welt. Viel ausrichten konnten die Stiftungen bislang nicht; aber das sollte man nicht den Stiftungen anlasten. Wo das Bewusstsein für Qualität und Unabhängigkeit fehlt, kämpfen auch wohlmeinende Stiftungen auf verlorenem Posten. Vielleicht wird dereinst eine Forscherin in den Archiven des Instituts für Zeitungsforschung den Ursachen für die Lügenpresse-Vorwürfe und den Reaktionen der geschmähten Blätter wissenschaftlich auf den Grund gehen. Wir können nur hoffen, dass es das Institut für Zeitungsgeschichte zu diesem Zeitpunkt noch geben wird. Das Institut, das 1926 als Niederrheinisch-Westfälisches Institut für Zeitungsforschung der Stadtbibliothek Dortmund gegründet wurde, feierte im vergangenen Jahr sein 90-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass ist ein schmaler Band mit „Rückblicken und Ausblicken“ erschienen, der die Entwicklung des Instituts von einer Zeitungssammlung zum Forschungsinstitut beschreibt. Dass schwierige Episoden der Institutsgeschichte, etwa das angespannte Verhältnis zur Stadt Dortmund, nicht ausgespart werden, macht die Lektüre des Bandes zusätzlich angenehm. So kann die Festschrift glaubhaft versichern, dass allein durch die Existenz von Forschungseinrichtungen wie diesem Druckerzeugnisse auch in Zukunft ein bedeutender Teil der Publizistik bleiben werden, auch wenn die Zeitung schon heute viele Leser ans Netz verloren hat und diese Entwicklung anhält.

Das Aussterben der Zeitungskultur ist übrigens schon prophezeit worden, als es noch gar keine Online-Medien gab, auch keine Computer. Damals gab es noch nicht einmal Strom. Jürgen Wilke hat sechs Texte vom Ende des 17. Jahrhunderts kommentiert herausgegeben, die sich mit dem neuen Medium Zeitung befassen. Es ist wirklich ein Genuss, die ganz frühen Texte im Original zu lesen. Dass die einen im Medium Zeitung dem moralischen Verfall und vor allem der Neugierde Tür und Tor aufgetan sahen, während die anderen Zeitungen als bildungsfördernd lobten, ahnt der Leser schon vor der Lektüre. Die Argumente im Einzelnen überraschen aber. Und wenn Tobias Peucer in seiner Dissertation an der Universität Leipzig 1690 Über Zeitungsberichte spricht, dann amüsiert es zu lesen, dass der Autor das Zeitungswesen zwar befürwortet, aber keineswegs damit behaupten will, dass der Nutzen der Neuen Zeitungen so groß sei wie der aus klug abgefasster Geschichte, … da ihre Verfasser so ziemlich alles dessen entbehren, was für eine richtige Geschichtsschreibung notwendig ist: wie Gescchichtskenntnisse, Klugheit, geschulte Urteilskraft, Belege, die aus ganz unverdächtigen Archiven geholt sind, und schließlich die angemessene Ausdrucksfähigkeit und der Stil der Geschichtsdarstellung. So ganz überzeugt von den Fähigkeiten der Journalisten waren ihre Unterstützer auch in früheren Jahren nicht. Da müssen Stiftungen noch viele Fördergelder einsetzen, um heute wirklichen Qualitätsjournalismus zu ermöglichen.

Und nebenbei: Woran denken Sie eigentlich, wenn Sie Bouillon lesen? An die Brühe? Da liegen Sie, wenn es um die frühen Schriften zum Zeitungswesen geht, einigermaßen falsch. Bouillon ist ein altes Herzogtum in den Ardennen. Gottfried von Bouillon, der Führer des ersten Kreuzzuges, stammt von dort. Das und viel mehr lehrt uns die Lektüre dieser sechs außergewöhnlichen Texte, vier davon eher für, zwei von davon eher wider die Zeitung.

Astrid Blome (Hg.): 90 Jahre Institut für Zeitungsforschung. Rückblicke und Ausblick. Klartext Verlag, Essen 2016. 103 Seiten, 9,95 Euro. 978-3-8375-1695-1.

Jürgen Wilke (Hg.): Die frühesten Schriften für und wider die Zeitung. Christophorus Besold (1629), Ahasver Fritsch (1676), Christian Weise (1676), Tobias Peucer (1690), Johan Ludwig Hartmann (1679), Daniel Hartnack (1688). Mit einer Einführung von Jürgen Wilke (= ex libris kommunikation neue Folge Band 17). Nomos Verlag, Baden-Baden 2015. 208 Seiten, 39 Euro. 978-3-8487-2141-2.

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