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Kurzkritik Peter Schmidt: „Der Straßensammler“

von broemmling am 26. Januar 2017

Ausgelesen! Straßensammlung klingt ein bisschen nach Altkleider- und Altpapiersammlung, wie wir sie noch aus den Achtzigerjahren kennen, als es noch keine extra Tonnen für jede Art von Müll gab. Der Straßensammler ist aber beim Patmos-Verlag kein Lumpensammler, sondern ein weltgewandter, unternehmungslustiger, unerschrockener Wanderer. Wobei es mit der Weltgewandtheit so eine besondere Bewandtnis hat. Der Autor Peter Schmidt, der hier davon erzählt, wie er seinen Traum verwirklicht hat, möglichst viele Straße der Welt abzufahren, abzulaufen oder sonstwie zurückzulegen, ist Autist mit Asperger-Syndrom. Und alles wäre ganz wunderbar, wenn er nicht auf jeder Seite darauf hinweisen würde. Auch der Verlag hat mitgemacht: Die unglaublichen Erlebnisse eines autistischen Weltreisenden heißt der Untertitel des Reisebuches, und der Klappentext verspricht: Bitte einsteigen und Augen machen! Bizarrer wird’s nicht. Nun kann man unterschiedlich mit Abweichungen von der Norm umgehen, mit einer Beeinträchtigung, einer Behinderung, einer Krankheit. Und die Wortwahl wird ein bisschen von dem Menschen künden, der sie trifft. Ich selbst würde auch bei der Reise mit einer langweiligen Nachbarin noch Skurriles, wenn nicht sogar Bizarres entdecken und erleben, ich muss mich nicht anschnallen und mit einem vorab als Autist klassifizierten Berichterstatter reisen. Eigentlich krankt das Buch einzig an diesem Verständnis der Welt, an der Annahme, der Bericht eines Autisten ließe sich am besten vermarkten, wenn man besonders häufig auf das Etikett „Autistenreise“ verweist. Was kommt als nächstes? Drei Downies auf dem Zuckerhut? Oder Mit dem Rollstuhl durchs Ministerium? Bitte nicht, es geht auch anders, und auch hier geht es anders. Wenn man mal kurz davon wegkommt, dass man den Bericht eines Autisten als den Bericht eines Autisten lesen soll, ist das ganze Buch durchaus unterhaltsam. Wenn man dann auch noch bemühte Alliterationen wie „Hinternhochhüpfend holpern wir weiter“ und Wortschöpfungen wie „glibberquallige See“ und „kuhglockende Berge“ auszublenden imstande ist, wird man gut unterhalten, ganz ausgezeichnet sogar. Irgendwo in Tibet bricht die Straße plötzlich ab, was Peter Schmidt in dem Augenblick ahnt, als ihm auffällt, dass er schon verdächtig lange keinen Gegenverkehr mehr gesehen hat. Spannend, wenn auch knapp gerät Schmidts Bericht von der Reise durch den Iran – wo es im strenggläubigen Qom noch verschleierter zugeht als sonst schon. Wenn man es durchs Buch geschafft hat, hat auch der Vielgereiste zahlreiche neue Wunschziele ausgemacht – etwa zum eigentlichen Yellowstone Nationalpark, der für Peter Schmidt nicht in Wyoming liegt, sondern im äthiopischen Hochland. Trotz der ärgerlichen ungefragten Vorsortierung also ein aufschlussreicher, lesenswerter Reisebericht.

Peter Schmidt: Der Straßensammler. Die unglaublichen Erlebnisse eines autistischen Weltreisenden. Patmos Verlag, Ostfildern 2016. 287 Seiten, 19,99 Euro.

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