Skip to content

Kurzkritik Eduard Engel: „Deutsche Stilkunst“

von broemmling am 26. Januar 2017

Ausgelesen! Es ist das ultimative Buch für jeden Germanisten, für jeden Sprachliebhaber, für jeden, der deutsch spricht. „Ultimativ“ hätte ich besser nicht geschrieben, schon spüre ich des Autors tadelnden Blick im Nacken. Fremdwörter mochte Engel nicht, und Thomas Mann musste es ausbaden: Für Engel war der Nobelpreisträger keines reinen Deutschen Satzes fähig. Engels Deutsche Stilkunst erschien ab 1910 in vielen Auflagen mit jeweils vielen tausend Exemplaren. Es war ein Standardwerk (und auch Thomas Mann dürfte es gekannt haben). Aber mit Engel ging es, wie es so oft gegangen ist mit großen Geistern, deren Herkunft, Glauben oder Wesen den Nationalsozialisten nicht in den Kram passten. Das Buch wurde kassiert, 1938 starb Engel, der die Welt nicht mehr verstand, und ab 1943 kam, in Folgeauflagen bis heute, die Deutsche Stilkunst von Ludwig Reiners. Nicht nur der Titel war gleich. Der Inhalt war es zu großen Teilen auch. In einem kenntnisreichen Vorwort zum wiederaufgelegten Ursprungstext von Eduard Engel sind alle diese Zusammenhänge wunderbar vermittelt. Engels Text ist ein Genuss. Er urteilt scharf, und scheint doch manches Mal selbst über die Schärfe seines Urteils verwundert. Und wo Engel den Humor verliert, kann der Leser heute schmunzeln. Die Unfähigkeit, „wie“ und „als“ richtig zu verwenden, ist kein Phänomen erst der Gegenwart. Als Stilmittel erlaubt Engel die falsche Verwendung allenfalls Schiller und Goethe: Wer weder einen Faust noch einen Wallenstein geschrieben, möge wenigstens seine Alltagsprosa ohne diesen groben Fehler verfertigen. Den beiden also lässt er einiges durchgehen, sonst ist er selten milde (und findet einen unsicheren Gebrauch von „wie“ und „als“ bei den großen Dichtern sonst nur noch bei Hebbel). Hart geht er mit dem Fremdwort ins Gericht, spricht von der Pücklerei, so genannt nach dem lächerlichsten Sprachgecken unsers ältern Schrifttums, dem Fürsten Hermann zu Pückler-Muskau. Und wieder einmal – zack! – saust das Fallbeil auf den armen großen Thomas Mann mit seiner Mengselsprache nieder. Von der notwendigen Nüankße ist an anderer Stelle die Rede; Engel macht sich offensichtlich mit übertriebener Verdeutschung über jene lustig, die immer nur für die eigene Sprache das Maß der Fremdwörter samt ihrer eingedeutschten Schreibweisen als das richtige reklamieren. Ja, zuweilen nervt die Behäbigkeit, mit der Engels jedes Spiel und jede Leichtigkeit im Keim erstickt. Und dennoch überwiegen die heiteren Leseerlebnisse die Verstörungen bei Weitem, etwa wo es über die Notwendigkeit einer Einleitung zu einem längeren Text heißt: Wenn Hegel zu seiner Phänomenologie des Geistes auf eine Vorrede von 56 Seiten noch eine Einleitung von 13 Seiten folgen läßt, so beweist dies Hegels Unklarheit und schriftstellerisches Ungeschick. Bismarck hat mit dem Anfang seiner Gedanken und Erinnerungen bei Engel dagegen bestanden. Und schon holt man sich Bismarcks Biographie aus der eigenen Bibliothek wieder hervor … Es ist ein langes Stöbern, es sind Lesestunden voller Entdeckungen. Aber keiner wird die 900 Seiten in einem Zug durchlesen. Dafür sind die beiden Bände auch viel zu schade. Ich habe acht Wochen dafür gebraucht, immer mal wieder ein Kapitel, das später von Engel in „Abschnitt“ umbenannt wurde, „Kapitel“ schien ihm dann irgendwie zu welsch. Wer die Bände dann aus der Hand legt, fühlt sich gestärkt und geschwächt zugleich; der Zweifel wird einen noch häufiger packen: Und man schlägt nach der letzten Seite noch einmal die erste auf: Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. Nach der 31. Auflage von 1931. Mit einem Vorwort bereichert von Stefan Stirnemann. Sollte es in diesem Fall nicht besser heißen: Um ein Vorwort bereichert? Und schon fängt man gleich wieder von vorne an zu lesen.

Eduard Engel: Deutsche Stilkunst Band 1-2 (= Die Andere Bibliothek Band 379/380). Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 933 Seiten, 78 Euro.

Von → Allgemein