Skip to content

Kurzkritik Houellebecq: „Unterwerfung“

von broemmling am 18. Januar 2017

Ausgelesen! So vieles ist über Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung schon geschrieben und gesagt worden, dass ich erst gar keine Lust mehr hatte, das Buch überhaupt noch zu lesen. Doch zu Beginn meines Frankreichaufenthaltes wurde das Buch zum doppelten Genuss, der das gewohnte Ärgernis, das Houellebecq-Lektüre inzwischen zumeist darstellt, dieses Mal endlich wieder aufwiegt: Ja, auch dieser Roman ist schonungslos realistisch, gähnend schonungslos realistisch, und wenn es um alles Sexuelle der Hauptfigur geht, hat auch dieser Roman wieder viel vom Realismus eines Arztromans. Aber das Buch ist ein Meisterstück. Und das nicht, weil er angstfrei jenen die Stirn böte, die die Augen vor der Islamisierung dieser Gesellschaft verschließen. Die Muslimbrüder übernehmen Frankreich: Hatte man das nicht als Essenz von Houellebecqs Roman irgendwie im Hinterkopf? Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Dieses Buch schürt überhaupt keine Angst vor dem Islam, dieses Buch ist allerdings ein Schlag ins Gesicht aller identitären Argumentation: Was glaubensstrenge Muslime wollen, wollen auch die neuen Rechten: Besinnung auf die Kernfamilie und die Verlagerung der Entscheidungsgewalt zurück in die Familie, Dominanz  des Familienvaters über die weiblichen Mitglieder der Familie und Ablehnung anderer Lebensentwürfe, in welcher Patchworkzusammensetzung auch immer. Erika Steinbach scheint mir nach der Lektüre ein würdiges Mitglied im von Houellebecq geschilderten französischen Kabinett der Muslimbrüder zu sein. Houellebecq aber ist – wer hätte das gedacht – der Liberale, der mit seinem Roman aufzeigt, wohin allzu bequemes Besitzstandsdenken führt, die Intellektuellen in Frankreich übrigens in gleicher Weise wie die einfachen Leute in Deutschland. Großartige, tiefgründige, intelligente Literatur – bis auf die Arztromanpassagen.

Michel Houellebecq: Unterwerfung. Roman. DuMont Verlag, Köln 2015. 271 Seiten, 22,99 Euro.

Von → Allgemein