Kurzkritik Philipp Winkler: „HOOL“
Ausgelesen! Seit der aspekte-Literaturpreis mir im Jahr 2000 dabei half, Andreas Maier und Wäldchestag zu entdecken, hat er meine große Sympathie. Nicht immer traf er, wie sollte es anders sein, in den Folgejahren meinen Geschmack; am meisten wohl noch bei Katja Petrowskajas Vielleicht Esther2014. Mit der Lektüre von Philipp Winklers HOOL habe ich schon vor der Juryentscheidung begonnen. Ein passender aspekte-Preisträger ist er allemal, im Stil außergewöhnlich ungewöhnlich, ohne manieriert zu sein, im Thema genauso ausgefallen wie alltäglich. Und doch habe ich einige Tage gebraucht, um durchzukommen. Die Hooligan-Welt ist sicher nicht meine Alltagswelt, aber daran liegt es nicht; schließlich ist so vieles nicht meine Alltagswelt, über das ich lese. Bei manchem Satz kamen mir eben doch Zweifel, ob das auch ein Hooligan so niederschreiben würde, wie es da steht: „Der Hartgummilappen, der an die untere Türkante getackert ist, schrappt über die alten Dielen.“ Und manchmal gehen die Vergleiche mit dem Autor durch: „Die Treppe knarzt wie die Knochen eines alten Mannes.“ Stringent ist die Sprache nicht: „heruntergeglommen“ hier, „dreinschauen“ da. Aber wo er wirkliches Bauchgefühl schildert, ist Winkler meisterhaft, etwa wo Heiko Kai im Krankenhaus besucht und sie sich vom Vorlese-Plug des Internetbrowsers Fußballartikel mit komplizierten Spielernamen vorlesen lassen. Manche Motive muten vertraut an: Den zarten Harten, der die Tauben füttert, kennen wir seit Marlon Brandos Verkörperung des Terry Malloy in Die Faust im Nacken (On the Waterfront), und das war 15 Jahre vor meiner Geburt. Eine hübsche Parallele: Arthur Millers Drehbuchentwurf mit dem Arbeitstitel HOOK stand damals in Verdacht, beim Ausgangstext für On the Waterfront geklaut zu haben. Ob das so war oder umgekehrt, ist bislang nicht abschließend geklärt. Warum soll da nicht HOOL auch ein bisschen beim Film geklaut haben (nur diesmal war es sicher nicht umgekehrt)? Unabhängig davon: Lesenswert ist HOOL auf jeden Fall, und dass die Protagonisten-Hooligans aus Hannover sind und in erster Linie auf die Braunschweiger losgehen, zeigt auch dem Erfinder und Schriftleiter von VIERVIERTELKULT, der Vierteljahresschrift der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, dass HOOL sehr wohl zumindest zu kleinen Teilen auch aus seiner Alltagswelt erzählt.
Philipp Winkler: HOOL. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 311 Seiten, 19,95 Euro.