Skip to content

Stiftungsregister gefordert? Das kennen wir doch irgendwoher …

von broemmling am 7. März 2016

[Hinweis: Bei dem Text handelt es sich um eine Kolumne, die regelmäßig in den Nachlieferungen des Loseblattwerkes „StiftungsManager“ erscheint. Im Blog wird ab 2015 die Kolumne veröffentlicht, sobald eine Nachlieferung die jeweils nächste, neue Kolumne gedruckt hat. So bleibt der aktuellste Text den Abonnenten des Verlages Dashöfer vorbehalten, und der nächstjüngste Text lädt hier gleichzeitig dazu ein, selbst Abonnent zu werden. Ihr Ansprechpartner im Verlag ist Mark Jacobs. Die nachstehende Kolumne erschien in der Nachlieferung 44 im Dezember 2015.]

Es war eine nie dagewesene Stimmung in der Berliner Philharmonie an jenem Novembersonntag 2015, als der Philharmonische Chor Berlin – übrigens zum ersten Mal in der 133-jährigen Geschichte des Chores – unter der Leitung von Jörg-Peter Weigle mit Solisten und mit der Staatskapelle Halle Das Buch mit sieben Siegeln aufschlug. 1937 schuf der österreichische Komponist dieses Oratorium mit Texten aus der Offenbarung des Johannes, im letzten Jahr, bevor mit dem „Anschluss“ Österreichs die Grenzen der Staaten in Europa sich völkerrechtswidrig zu verschieben begannen. Dass eine unsichere Zeit bevorstand, spürten die Zuhörer der Uraufführung – jeder konnte die Anzeichen erkennen. Im so genannten „Dritten Reich“ fühlten sich viele zurückgesetzt, schlechter behandelt als die Nachbarn, Erinnerungen an die Gräuel des zurückliegenden Krieges, Verwundungen körperlicher und seelischer (und geistiger) Art, Wirtschaftskrise und Inflation, Straßenkämpfe zwischen Kommunisten und Nazis, zwischen „Rothemden“ und „Braunhemden“, und Reparationszahlungen ließen das Stimmungsbarometer nicht gerade steigen. Für alles, was folgte, war das alles schon als Erklärung eine voller Lücken, als Rechtfertigung gänzlich ungeeignet. Die Stiftungen hatten zu dieser Zeit noch keine Möglichkeit, die Gesellschaft dauerhaft zu befrieden. Zu schwach war das Verständnis der vielen Stiftungen untereinander von einem gemeinsamen Anliegen, zu groß das Misstrauen gegen zentralistische Tendenzen, gegen Datenmissbrauch und Instrumentalisierung gegen stiftungsfremde Zwecke. Davon später noch mehr. Wir sind ja zunächst noch bei Stimmungen. Es ist keine Kaffeesatzleserei, wenn wir unserer Gesellschaft für die nächsten Jahre schwierige Zeiten prophezeien. Aber welche Probleme hören wir, wiedergekäut von Medien, Politik, Demonstranten und Fama, die wieder durch die Straßen fliegt? Dass die Flüchtlinge höhere Sätze bekommen als mancher Rentner zum Leben hat. Dass ja nur Männer kommen. Dass der Wert der eigenen Immobilie sinkt, wenn die benachbarte leerstehende Fabrikhalle zum Übergangsheim eingerichtet wird. Das ist jetzt schon genug wiedergekäut. Vier Mägen hat das Rind. Denn eine Hälfte der Aussagen ist nicht ganz wahr, und die andere Hälfte ist vielleicht doch nicht so relevant? Genau diese Erkenntnis machte sich Anfang November in der Berliner Philharmonie. Schon nach wenigen Takten des Buches mit sieben Siegeln erleben wir den Jüngsten Tag in all seiner Herrlichkeit und Härte. Und als der Herr wiederkam, der König der Könige, bekleidet mit einem Gewande, getränkt mit Blut, als der Herr selbst die Herde der Völker weiden kam mit eisernem Stabe, als der Mord, auch der an den Kindern, niemals ein Ende hatte, als der Chor Tod und Mord und Sturm und Erdbeben pianissimo mit der knappen Zeile So bestraft Gott der Herr die sündige Menschheit kommentiert, als der fünfte und der sechste und schließlich der siebente Engel die Posaune blies: Da lief nicht nur Schauer über viele Rücken. Da wurde bis in die letzten Blöcke klar, wie klein und nichtig unsere Probleme sind vom Weniger-als-vorher und Weniger-wert-als-vorher und vor allem vom Weniger-als-der-andere.

Der aufmerksame Leser wird nun sagen: Schön und gut, aber vor knapp 80 Jahren hat die Uraufführung auch nichts bewirkt, und es ging bergab. Aber Geschichte wiederholt sich nicht. Wohl aber Strukturen und Verhaltensmuster – und die könnte man doch verändern.

Die Strukturen sind schon neu: Gegen die Wiederkäuer hat sich eine merkwürdige Allianz entgegengestellt aus Kultur, Kirche, Wirtschaft und – erstaunlich, aber ganz wunderbar – guter Verwaltung. Damals waren die Stiftungen trotz nicht geringen Vermögens schwach und wehrlos und haben zusehen müssen, wie Geschwister mitten aus der Familie gerissen wurden, jüdische Stiftungen, sozialdemokratisch inspirierte Stiftungen. Heute dürften die Stiftungen ziemlich stark sein, wenn sie zusammenstehen. Schwestern, seid standhaft, heißt es in der Offenbarung. Stiftungen, seid standhaft! Könnte es so nicht auch in der Flüchtlingsfrage lauten? Vielleicht tut es das schon. Denn die Stiftungen haben bereits relativ klar Position bezogen. Bis in kleinste Organisationseinheiten hinein. Die Körber-Stiftung kann – wieder einmal wie so oft, wenn es um best practice und nicht um worst practice geht – als Beispiel dienen. Hier hat der Vorstand beschlossen, dass jeder Mitarbeiter bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit für ehrenamtliche Arbeit in selbst gewählten Flüchtlingsprojekten einsetzen kann – unabhängig von der Stiftung, aber in Absprache mit den Vorgesetzen. Denn wer ein Fünftel weniger im Gebäude Kehrwieder 12 oder an den Auenprojekten der Stiftung ist, muss Projekte abgeben oder schlummern lassen. Es sollte zur Abwechslung nicht so sein wie es sonst die Regel ist in vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen (und manchmal sogar in der Wirtschaft): Der Mitarbeiter geht auf 50 Prozent und ist trotzdem geschätzte 80 Prozent vor Ort. Oder eine Projektleiterin bekommt für ihre Tätigkeit nur noch zwei Drittel des bisherigen Lohns, weil ein Drittel aus dem Pflichtenheft entfernt worden sind, die vorher ohnehin nicht zu bewältigen waren. Die Arbeitsmasse bleibt aber die gleiche (weil das andere vorher ohnehin nicht zu bewältigen war – hatte ich das nicht gerade schon geschrieben?). Ja, wenn das Ehrenamt mit der Erwerbsarbeit inhaltlich in so engem Zusammenhang steht. Das tut es bei Körbers nicht: Die Stiftung war schließlich ohnehin seit langem für ihr niedrige Fluktuationsrate bekannt. Ich hatte mir eine Körber-Stiftung ohne die Vorstände Klaus Wehmeier und Michael Wriedt, die vor gar nicht so langer Zeit in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet worden waren, gar nicht vorstellen können. Und nun reagiert der neue Vorstand gleich so schön auf eine aktuelle Herausforderung. Gut zu wissen.

Und was sollte das Misstrauen der Stiftungen gegen mögliche Zentralisierungen und fremde Besitzansprüche in den 1930-er Jahren? Wo kommt denn diese Behauptung wieder her? 1934 wandte sich der Leipziger Oberbürgermeister gegen das Ansinnen der neuen Machthaber, allen Stiftungsverwaltungen standardisierte Informationen über die jeweils dort verwalteten Stiftungen abzuverlangen. Ein Kritikpunkt waren unnötige Kosten und unnötige Bürokratisierung – und das auch noch ohne erkennbaren Nutzen für die Stiftungen. Er warnte aber auch vor der Zentralisierung der Stiftungen. Er konnte ja nicht wissen, dass die Nachfolger seines Sohnes einmal 70, 80 Jahre genau das Gegenteil fordern würden …

Oberbürgermeister von Leipzig war 1934 kein Geringerer als der 1945 hingerichtete Widerstandskämpfer Carl Goerdeler. Sein Sohn Reinald war bis in die 1990-er Jahre 1. Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen. Das ist schon hübsch nicht war? Hatte ich Ihnen in der letzten Kolumne die Besprechung des Neuen Paul Maar-Epigonen-Buches Eine Woche voller Stiftungstage versprochen? Diese Geschichte aus dem wirklichen Leben ist doch viel schöner!

Von → Allgemein