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Den typischen Stifter gibt es (immer noch) nicht

von broemmling am 19. Dezember 2015

Die aktuelle StiftungsWelt, die Verbandszeitschrift des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, legt den Schwerpunkt auf die „Wegweiser“, auf Stifterinnen und Stifter in der Stiftung und stellt eine neue Stifterstudie vor, die die Motive der Stifter in Deutschland untersucht hat. Es ist die erste große Folgeuntersuchung nach der Stifterstudie Stiften in Deutschland, die 2005 der damals bei der Bertelsmann Stiftung beschäftigte Karsten Timmer betreut hatte. Bei allen Verschiebungen im Detail lässt sich sagen, dass die neue Studie keine atemberaubende neue Information bereit hält. Auch der Kernsatz ist exakt der gleiche geblieben: „Den typischen Stifter gibt es nicht“ ist schon die Überschrift über dem ersten Teil einer Artikelserie in der Frankfurter Rundschau vom Sommer 2004. Davon später mehr. Auch der Auftaktartikel selbst beginnt mit diesem Satz. Und die Stifterstudie 2005 beginnt ein Jahr später identisch mit dem Satz „Den typischen Stifter gibt es nicht.“ Erster Satz nach der Einleitung der neuen Stiftungsstudie Stifterinnen und Stifter in Deutschland: „Den typischen Stifter gibt es in der Realität natürlich nicht.“ Da ist außer einem „in der Realität“ und einem „natürlich“ nicht viel Neues dabei.
Auch in der Öffentlichkeitsarbeit hat sich, was den Umgang mit dem Stifter nicht viel geändert. Immer noch dienen die gleichen Wohltäter als leuchtende Beispiele, wenn es darum geht, wie eine Stiftung vom Renommee ihres Stifters profitieren kann. Und immer noch befinden sich die guten Stifter nicht in der besten Gesellschaft, auch wenn man schaut, wer sich da zuweilen als Stifter präsentiert. Kaum ein anderes Beispiel verdeutlicht dies so wie die Geschichte eines stern-Artikels aus dem Jahr 2000. Es geht nicht um die Hitler-Tagebücher, das liegt weiter zurück.
Die stern-Botschaft war zweifellos positiv: In der Ausgabe des Hamburger Wochenmagazins vom 12. Oktober 2000 lachten dem Leser viele fröhliche Gesichter durch Goldrahmen entgegen. Ein Satz als Bildunterschrift und schließlich der Artikel selbst auf immerhin vier Seiten verrieten die Gemeinsamkeit der Einzelporträts, die so gar nicht in Öl oder Kupferstich daherkamen, wie es der Goldrahmen vermuten ließ. Die hier geehrten Personen schienen im Gegenteil recht lebendig, als würden sie gleich aus dem Rahmen springen oder doch wenigstens gleich würdevoll dahinter hervortreten. Es waren allesamt Stifterinnen und Stifter, die erst vor kurzer Zeit ihre Stiftung errichtet hatten und nun erste Erfolge des stifterischen Engagements noch miterlebten.
Anlass des Berichts im stern war die größte Rechtsreform für Stiftungen seit Bestehen der Bundesrepublik. Die rot-grüne Regierung wollte die Rahmenbedingungen für Stiftungen so weit verbessern und die Anerkennung von Stiftungen (die damals noch Genehmigung hieß) so weit erleichtern, dass auch Personen mittleren Einkommens die Rechtsform Stiftung als eine Form bürgerlichen Engagements ansah, die für sie eine Alternative zur Spende darstellt. Die Reform galt zunächst dem Stiftungssteuerrecht, und erstmals galten für die Zuwendungen ins Stiftungskapital Abzugsmöglichkeiten, von denen andere gemeinnützige Organisationen nur träumen konnte.
Der stern-Atikel war der erste, der ausnahmslos relativ unbekannte Stifter in den Fokus rückte und damit dem Geist des Gesetzes Rechnung trug. Brigitte Zander, die Autorin, hatte sich davor im Bundesverband Deutscher Stiftungen ein paar passende Kandidaten nennen lassen, die die Nummer mit dem Goldrahmen auf sich nahmen – zum Wohl der Stiftung und ihres Stiftungszwecks. Als Jünster war der 55-jährige Michael Succow, als Älteste die 85-jährige Ilsetraut Glock-Grabe dabei. Der Hochschulprofssor aus Greifswald hatte 1997 den Alternativen Nobelpreis gewonnen und mit dem Preisgeld die Michael-Succow-Stiftung zum Schutz der Natur errichtet. Die Bonner Grafik-Künstlerin gab den größten Teil ihrer Kunstsammlung und des eigenen Œuvres in die neu errichtete Ilsetraut-Glock-Grabe-Stiftung als unselbstständige Stiftung in kommunaler Trägerschaft ihrer Geburtsstadt Nordhausen. So unterschiedlich Anliegen, Ort, Größe und Rechtsform auch sein mochten, es sollten Stifter sein, die der Stiftungsarbeit zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen könnten.
Glaubwürdigkeit war schon im Jahr 2000, als der stern-Artikel erschien, ein hohes Gut. „Wenn ein Projekt glaubwürdig ist, dann öffnen sich auch die Herzen,“ hatte Michael Succow beobachtet. Schon früher hatten Stifter ein gesellschaftliches Ansehen ähnlichen Ranges wie der Familienunternehmer, der Handwerker, der Lehrer, der Pfarrer. All diese Stützen der Gesellschaft waren Vorbilder. Der Familienunternehmer ist hinter die Herren in immer denselben grauen oder dunkelblauen Zweireihern getreten, der goldene Boden, den das Handwerk einmal hatte, ist verschwunden und taucht heute als Mastercard Gold oder goldene Kundenkarte wieder auf. Geschlossene Kirchen und zusammengelegte Gemeinden künden vom Rückgang der Priesterweihen, und Lehrer haben heute vor Konferenzen und Konfliktlotsengesprächen überhaupt keine Zeit mehr, als Vorbilder in Erscheinung zu treten. Wirklich geblieben sind als Vorbilder beinahe nur noch die Stifter – mit anderen Helden des Alltags aus der Zivilgesellschaft.
Neue Stifter in alten Rahmen, der Ansatz der Journalistin: nicht falsch, nicht einmal weit hergeholt. Auch vor 15 Jahren lag der Anteil der Menschen, die schon zu Lebzeiten eine Stiftung errichten, über dem der Stiftungen von Todes wegen. Und der Stifter kennt schließlich seinen Stiftungszweck am besten und kann Spannendes dazu berichten. Doch wer sich zu eng an den Stifter bindet, läuft Gefahr, ihn nicht mehr loszuwerden. Entsprechendes gilt für die Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie ihre Stifter als Botschafter für die eigene Stiftung einsetzt. Auch beliebte Stifter, große Persönlichkeiten, echte Wohltäter sind keine Götter. Erstaunlich eigentlich, dass das noch betont werden muss. Seit dem Tod Berthold Beitz’ wird diese Feststellung immerhin nicht mehr mit Ächtung bestraft. Wenn Stifter und Stiftungsrat unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie die Stiftung den Zweck am besten erfüllt, kann es am Ende durchaus sein, dass der Stifter den Kürzeren zieht. Denn die Stiftung gehört dem Stiftungszweck, nicht dem Stifterwillen. Wenn aber der Eindruck entsteht, hier sei der Stifter respektlos oder undankbar behandelt worden, wenn plötzlich Begriffe wie „Hausverbot“ und „Rauswurf“ im Raum stehen, regt das potenzielle Stifter nicht gerade zur Nachahmung an. So gesehen – die Verbandszeitschrift nennt nachvollziehbarerweise keine Negativbeispiele. Aber zur goldenen Seite des Stiftens gehört immer auch die dunkle Seite der Macht. Das mag Management oder den Stifter betreffen. Die Pankower Allgemeine Zeitung titelte am 15. Februar 2014 online „Gründer der Björn-Schulz-Stiftung abgesetzt“, beim Tagesspiegel heißt es am 20. Februar 2014 „Der Gründer muss gehen“. Es gab, so war zu lesen, unterschiedliche Vorstellungen bei der Erweiterung des Vorstandes weg vom bisherigen Alleinevorstand, den der Stifter seit Errichtung der Stiftung 18 Jahre zuvor bildete. Ganz egal, was da im Einzelnen vorgefallen war: Dem Stiftungswesen hat das Schaden zugefügt, denn ein fahler bitterer Beigeschmack bleibt.
Diese vorsichtige Warnung vor allzu großer Einflussnahme des Stifters gilt für jene Stiftungen, die schon in hauptamtlichen Strukturen arbeiten. Für die vielen kleinen Stiftungen ist die Präsenz der Stifter gerade auch in der Kommunikation unverzichtbar. Die Norbert Janssen Stiftung in München etwa ist auf ehrenamtlichen Einsatz angewiesen. Der kommt aus vielen Richtungen, vor allem aber – auch bei der Kommunikation – vom unermüdlichen Stifter und Namensgeber selbst.
Norbert Janssen ist der bescheidene, ruhige Typ Stifter, der gleichwohl Feuer und Flamme für den Zweck seiner Stiftung ist: Talente fördern, auch jenseits der Universität, auch unabhängig vom Leistungs- und Elitedenken. Die Vielfalt im Stiftungswesen zeigt sich auch im Temperament der Stifter bei der Öffentlichkeitsarbeit der Stiftungen. Da ist, man verzeihe den Ausflug in die Fauna, vom scheuen Reh im Streichelzoo bis zur Rampensau alles vertreten (das ist bei den dem Stifter nachfolgenden Stiftungsmanager übrigens nicht anders). Unabhängig davon, ob eine Stifterin die Menge scheut oder sucht: Die Stiftung sollte zu Lebzeiten Ton- und Bilddokumente über den Stifter archivieren. Sonst ist es dafür irgendwann zu spät.
„Den typischen Stifter gibt es nicht“, war der erste von 14 Teilen einer Artikelserie überschrieben, die ab 18. August 2004 wöchentlich in der Frankfurter Rundschau über die Grundlagen des Stiftungswesens in Deutschland informierte. Keine andere Zeitung hatte bislang in diesem Umfang in einer Serie das Stiftungswesen beschrieben. Brömmling hatte die Serie in der Redaktion angeregt und war auch Autor aller Beiträge. Gleich in der dritten Folge lernten die Leser, dass die Gleichung Stifter = konservativ nicht aufgeht. Ein Buch über Stifterinnen (2010), ein weiteres über Mäzeninnen (2014) lassen den Verdacht aufkommen, dass Stiften auch weiblich sei und werden könnte. Bereits die Stifterstudie der Bertelsmann Stiftung arbeitete 2005 heraus, dass sich die Stifter gegen Typisierungen wehrten. Sie lassen sich nicht klassifizieren. Der typische Stifter in der breiten Öffentlichkeit – da ist also „typisch“ genauso wenig wert wie „breit“. Jede Stiftung, die mit ihrem Stifter in die Öffentlichkeit will, muss bei der Planung heute damit rechnen, dass ihr Stifter links, lebend und eine Frau sein könnte. Aber das ist nicht mit der Kehrseite gemeint.
Leider hält das Leben nicht nur Kalauer bereit. Das zeigte auch der stern-Artikel über Stifter im Goldrahmen. Die stern-Journalistin meldete sich telefonisch eine knappe Woche nach Erscheinen. Sie bedankte sich für die gute Zusammenarbeit, für die Kontaktvermittlung zu den Stiftern. Sie habe da allerdings auch einen Hinweis erhalten, vom Anwalt der erwachsenen Kinder eines der Stifter. Die traumatisierten Kinder seien vom Vater vernachlässigt worden und ohne Liebe aufgewachsen. Der hätte sich lieber um seine Stiftung gekümmert. Da sei die Ehrung durch eine Stiftergalerie eher kontraproduktiv.
Aber neben bekannten und unbekannten Lichtgestalten des Stiftungswesens wie Michael Succow und Ilsetraut Glock gibt es eben auch die anderen. Es kann und soll nicht darum gehen, die Stifter einem Generalverdacht auszusetzen. Es hilft einfach, auf dem Teppich zu bleiben. Denn auch das Stiftungswesen ist nur ein Teil dieser Gesellschaft.

Von → Allgemein