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Ciao Feingefühl!

von broemmling am 7. Mai 2015

Muss man denn immer auf die Schwachstellen hinweisen, wenn das große Ganze stimmt? „Wo aber bleibt das Positive?“ Hat Erich Kästner mal gefragt. Was gerne übersehen wird, wenn Kästner bemüht wird: Kästner hat den Bundesverband Deutscher Stiftungen nicht gekannt. Und er hat keineswegs gemeint, dass man das Negative nicht erwähnen dürfe. Der Deutsche Stiftungstag hatte jedenfalls noch ganz gute Chancen für einen guten Auftakt. Der Oberbürgermeister hatte zwar ein Manuskript, aber sprach doch völlig frei und sehr gut. Und Agnieszka von Zanthier war angekündigt, über den Kreisauer Kreis und Helmuth James von Moltkes beeindruckende europäische Vision zu sprechen. Als ich Agnieszka von Zanthier vor rund zehn Jahren kennen lernte, lebte Freya von Moltke noch, und Agnieszka von Zanthier erzählte mir voller Bewunderung vom Engagement dieser großen beeindrucken Persönlichkeit. Diese Begeisterung fehlte im Vortrag, die Frau von Helmuth James von Moltke fand keine Erwähnung, schließlich war sie auch nicht Thema, aber ein bisschen Emotion hätte dem Vortrag nicht geschadet, der ein bisschen zu lang geriet. Dennoch bleiben die Gedanken Helmuth James von Moltkes bemerkenswert, und die Länge des Vortrags ging nicht auf Kosten des Inhalts. Aber wo hier die Emotion fehlte, war sie zu Beginn der Eröffnungsveranstaltung völlig fehl am Platz:
Nun muss man wissen, dass auch die fortschrittlichste Stiftergemeinde (als die ich die Gesamtheit der Stiftungstagsteilnehmer hier bezeichne), die sicher politisch weiter links steht als die Stiftergemeinde vor 15 Jahren, immer noch von einer gewissen Sattheit geprägt ist, aufgewachsen in Friedenszeiten, keine Not, keinen Hunger kennend, keinen Krieg durchlebt, keine Freunde in der Schlacht verloren. Wenn vor einem solchen Auditorium eine Chansonette mit einem Akkordeonisten zwei Chansons zum besten gibt, kann so ein Programmpunkt gute Laune machen. Aber nicht jedes Lied ist gleich geeignet. Und wer, bitte, ist verantwortlich für die Auswahl des zweiten Liedes, das da hübsch unterhaltsam der satten zufriedenen Zuhörerschar serviert wurde? Das traurige, schöne, bittere Partisanenlied „Bella Ciao“ wurde da lustig gesungen, und es hätte kaum etwas gefehlt, dass da auch noch in den Reihen schenkelklopfend mitgeklatscht worden wäre. Die Zuhörer hatten offenbar genug Feingefühl, nicht in dieser Form miteinzustimmen. In „Bella Ciao“, einem Lied der italienischen Partisanen gegen den Faschismus, geht es um Leben und Tod, um Menschen, die für die Freiheit der anderen zu sterben bereit sind. Das stimmt nachdenklich. Ich mache ja gerne mal einen Scherz mit. Aber was sollte das? Musste man als nächstens vielleicht das Lied von den Moorsoldaten erwarten? Das hat mir jedenfalls die Eröffnungsveranstaltung sauber verdorben. Bella Ciao? Ciao Feingefühl!

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